TwenFM

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Vom Piraten zum Kulturserver

Anfang März stürmte die Berliner Polizei den Sendekeller von TwenFM. Nach der Konfiszierung seiner Ausrüstung will der DJ-Sender ab April legal per Internet und beim Offenen Kanal weitermachen

Radiomachen ist schön und ein nettes Hobby wie für andere Leute Gartenarbeit. Nicht schön ist, wenn man mit einem eigenen Sender von der heimischen Garage aus sendet und die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post dahinter kommt. Die erstattet Anzeige, besorgt einen Durchsuchungsbefehl und lässt die Polizei anrücken. Und wenn diese die Sendeanlage auch wirklich finden will, kann schon mal was im Eifer des Gefechts kaputtgehen. So was passiert halt. Das Pech hatte der Piratensender TwenFM in Berlin-Mitte zum Beispiel am 3. März.

Eine UKW-Lizenz ist für einen Sender in Berlin neben den 25 vorhandenen Programmen schwer zu ergattern, nicht kommerzielle private Sender bleiben chancenlos. So kämpft seit einigen Jahren das Projekt Radio Pi, ein Zusammenschluss aus mehreren freien Sendern, um eine eigene Frequenz. Die Legalisierung von Piratensendern ist völlig ausgeschlossen. Denn: "Die müssen auch nicht Mitarbeiter, Gema-Gebühren und Verbreitungswege bezahlen", sagt Susanne Grams, Sprecherin der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg. "Die wollen ihre besonderen Inhalte verbreiten und Tabus brechen."

In Berlin existieren zur Zeit etwa ein halbes Dutzend illegaler Sender, doch nur TwenFM und Radio Westfernsehen sind regelmäßig on air. Die anderen sind immer mal sporadisch zu hören.

Illegaler Clubsound

TwenFM will eigentlich auch keine politischen Tabus brechen, sondern ist über seine Illegalität hinaus ein DJ-Sender und für Clubsound zuständig, der seit einem Jahr täglich ab 18 Uhr rund acht Stunden lang in den Ostberliner Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg auf UKW 95,1 empfangen werden kann. "Wir machen einfach nur Musik", meint der Initiator über die wöchentlich zwanzig Sendungen mit ungefähr 50 DJs. Ganz anders Radio Westfernsehen, das als Antifa-nah gilt und politisches Sendungsbewusstsein im Wortsinn demonstriert. Den TwenFM-Kollegen hat man nicht viel zu sagen, nach der Polizeiaktion hat ein Westfernseh-Mitarbeiter nur wenige mitfühlende Worte übrig: "Das ist eine andere Generation, die ihr Partygefühl erweitert. Die würden bei Kiss FM weitermachen, wenn die sie anstellen würden." Radio Westfernsehen selbst sendet erst seit gut zwei Monaten regelmäßig auf der Frequenz 104,1.

Vielleicht sei es der Regulierungsbehörde mit einem weiteren, zudem explizit politischen illegalen Sender in der Stadt zu bunt geworden, spekuliert ein Mitstreiter über die Durchsuchung. Denn die kam zwar nicht unerwartet, aber zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt. Nach Einschätzung der Funkpiraten "könnten die Techniker der Telekommunikations-Behörde bereits nach 20 Minuten den Sender lokalisieren". Doch die zuständige Bonner Behördenzentrale hüllt sich in Schweigen: Man habe eben so lange bis zur Entdeckung ds Senders gebraucht, sagte Sprecher Harald Dörr.

Nach TwenFM-Darstellung soll ein kommerzieller Sender gegen den Piratenkanal geklagt haben, weil dieser dem Privatprogramm Zuhörer abspenstig mache. Viel Publikum können TwenFM und Radio Westfernsehen mit ihrer Reichweite über ein paar Blocks wohl kaum den Fängen der Dudelfunker entreißen - und auch die Zielgruppe ist eine andere als die des etablierten Hörfunks. Warum die Regulierungsbehörde gerade jetzt eingeschritten ist, verrät sie nicht.

Cyber-TV und Chatforum

Unbestritten übereifrig ist aber die Polizei bei der Aktion gegen TwenFM vorgegangen. "Die kamen mit gezogener Waffe rein und haben uns gedroht", sagt der 24-jährige Hip-Hop-DJ Hek 187: "Die Zivilbullen waren am härtesten. Wir mussten drei Stunden in der Grätsche an der Wand stehen." Hek 187 stand am DJ-Pult und hatte noch die Kopfhörer auf, als die Polizisten Freitagabend gegen 20 Uhr in den Sendekeller im Bezirk Mitte eindrangen. Das machte ihn prompt zu einem der Hauptverdächtigen unter den 15 anwesenden DJs und MCs. Neben der Sendeanlage und den Plattenspielern beschlagnahmte die Polizei noch Mikrofone, Platten, Mini Discs der DJs und zwei PCs von Bewohnern des Hauses. Als die Personalien der Verdächtigen aufgenommen wurden, lief ironischerweise Radio Westfernsehen.

Ungewöhnlich ist der hohe Polizeiaufwand für ein Delikt, das mit dem neuen Telekommunikationsgesetz vor zwei Jahren zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wurde: "Das ist nicht mehr, als wenn Otto Normalverbraucher über eine rote Ampel fährt", beurteilt Rechtsanwalt Rainer Palma die Lage, der schon einige Piratensender vor Gericht vertreten hat. "Die Verhältnismäßigkeit der Mittel sollte gewahrt bleiben". Die Regulierunsgbehörde wird sich nun einen Hauptverantwortlichen suchen müssen, der in den nächsten Wochen einen Bußgeldbescheid über ungefähr 3.000 bis 5.000 Mark zugeschickt bekommt.

Das schreckt den TwenFM-Gründer nicht ab: "Wir lassen das ganze weiterlaufen." Bald auch digital - und legal: Ab April im Internet unter " target="_new www.twenfm.de. Außerdem soll im Nachtprogramm des Offenen Kanals täglich von null bis zwei Uhr das Sendestudio gefilmt werden und lies über einen vom Kulturamt geförderten "Kulturserver" im Netz abrufbar sein. Für TwenFM als interaktives CyberTV ist ein Chatforum geplant nebst Zuschauerbeteiligung bei den Sendungen. Nicht schlecht für einen eben noch von der Polizei gejagten Piratensender.

aus: taz Nr. 6092 vom 14.3.2000, Seite 16, 181 Zeilen (TAZ-Bericht), VERENA DAUERER