GPN20:Daten helfen heilen? Warum die elektronische Patientenakte nicht gesünder macht
Ein Vortrag von Dr. med. Andreas Meißner auf der GPN20.
Stellt euch vor, ihr würdet zur Arbeit mit einem System gezwungen, - bei dem Anschluss und die nötigen Geräte wochenlang nicht funktionieren, - das dann permanent Systemabstürze wegen elektrostatischer Entladungen erzeugt, - bei dem der nötige elektronische Versand von Formularen nicht funktioniert, - bei dem ihr wegen Störungen teilweise wochenlang abgehängt seid, - wofür ihr teure Updates installieren müsst, ob ihr wollt oder nicht, - bei dem ihr Bauchschmerzen habt, was mit sensiblen Daten eurer Kunden passiert, die zentral in Clouds gespeichert werden (alternativlos vorgegeben).
Ihr fürchtet um Vertrauen und Schweigepflicht. Wehe aber, ihr installiert und nützt dieses System nicht! Wer sich verweigert, bekommt weniger Honorar für seine Arbeit!
Wo sich dieser Wahnsinn abspielt? Im deutschen Gesundheitswesen. Der Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) zur Vernetzung von Praxen, Kliniken und anderen Akteuren ist seit 2018 Pflicht. Darüber läuft nun auch die elektronische Patientenakte (ePA), die die Gesetzlichen Krankenkassen seit 1.1.2021 anbieten müssen.
Die Nachfrage der Patienten hält sich bisher in Grenzen, in meiner Praxis gleich null. Die zentrale Speicherung sensibler Daten in Clouds verunsichert viele Menschen. Sie wollen sich oft auch mit nötiger Technik und PINs nicht beschäftigen - verständlich. Und das E-Rezept, kurz vor Zwangseinführung zum 1.1.2022 doch noch verschoben, können viele meiner Patienten gar nicht empfangen – über die Hälfte aller 65-Jährigen nützt kein Smartphone.
Papier, Fax und Rezept mögen oldfashioned und rückständig sein. Aber sie sind einfach, schnell zu bedienen und relativ billig. TI und ePA aber sind komplex (Entropie!), teuer, bringen wenig Mehrwert und bremsen dafür den workflow in den Praxen. Burnout durch digitalisierungsbedingte Mehrarbeit? In den USA heute schon Realität.
Gesünder macht die ePA leider auch nicht. Patienten brauchen eher analoge Beratung und Beziehung. Jetzt aber werden Ärzte und Patienten zu Datenlieferanten für die Industrie gemacht – die schon großes Interesse an den Daten signalisiert hat. Das deutsche Gesundheitswesen bisher ist gut, aber sowieso schon teuer. Der nötige Aufwand für entsprechenden Output (Entropie!) wird durch TI und ePA nur verstärkt. Dabei gäbe es andere dringende Notwendigkeiten im Gesundheitswesen.
Vorschläge für eine sichere, dezentrale e-Health-Struktur wurden bereits gemacht, bisher aber ignoriert. Manches wäre ja sinnvoll, etwa schnelle Befundübermittlung auf sicheren Kanälen direkt an Patienten und Kollegen – ohne Speicherung auf Servern. Es müsste einfach bedienbar sein, Mehrwert haben – und freiwillig sein!