Artikel in der Rheinpfalz-Zeitung: Unterschied zwischen den Versionen

aus dem Wiki des Entropia e.V., CCC Karlsruhe
(Artikel in der Rheinpfalz-Zeitung Januar 2006)
 
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
[[Bild:Rheinpfalz.jpg|600px]]
[[Bild:Rheinpfalz.jpg|600px]]


Artikel in der Rheinpfalz-Zeitung Januar 2006.
Artikel in der Rheinpfalz-Zeitung Januar 2006. Text:
 
<blockquote>
Die Neugierilla
Politik und Spieltrieb, blinkende Lichter, Toaster und die Fußball-WM: Was Hacker umtreibt, betrifft jeden / Von Thomas Huber
Leises Surren von Rechnern, abgewetzte Sofas und Sessel, gedämpftes farbiges Licht, junge Menschen, die unbeweglich in Computermonitore starren und ab und zu etwas auf der Tastatur cintip-pen - es ist leicht, so leicht, den üblichen Klischees auf den Leim zu gehen, wenn man bei Hackern zu Besuch ist. Es wäre bestimmt auch leicht, mit den Leuten, die sich in ihren Clubräumen unterm Dach des Karlsruher Gewerbehofs versammelt haben, stundenlang fachzusimpeln über Programmiersprachen, Netzwerke und Protokolle, über Computer-und Kommunikationstechnik.
Simon, Julian und Andreas von „Entropia" sprechen stattdessen über die Fußballweltmeisterschaft. Entropia ist der Karlsruher Erfa-(Erfahrungsaustausch-)Kreis des Hackervereins Chaos Computer Club (CCC). Dessen Logo, der „Chaos-Knoten" (in der Seitenmitte), ist so etwas wie das halboffizielle Emblem der Hacker in Deutschland. Die „Datenreisenden", wie sie sich selbst manchmal nennen, diskutieren freilich aus ihrer Sicht über die WM. Und da geht es nicht so sehr um die Chancen einzelner Mannschaften oder interessante Spielpaarungen, sondern um den Verlierer, der ihrer Meinung nach schon feststeht: den Datenschutz.
„Kaiserslautern ist WM-Stadt. Karlsruhe zum Glück nicht", zieht Entropia-Pressesprecher und Informatikstudent Julian Finn eine erste bedrückte Bilanz der Weltmeisterschafts-Vorbereitungen. Ganz davon abgesehen, dass schon die Datensammlung beim Kartenvorverkauf aus der Sicht des Datenschutzes ein sehr schlechtes Geschäft für die Fußballfans gewesen sei: "Unglaublich viele Sachen" seien da gelaufen, "bei denen man als normal denkender Mensch eigentlich sagen muss, ich mach das nicht mit", sagt Simon. Den Grund für die Skepsis liefert Julian: „In Kaiserslautern haben sie bald mehr Überwachungskameras als Einwohner." Das stimmt natürlich nicht ganz: aber immerhin rund 200 Kameras sollen nach aktuellem Planungsstand nahezu die gesamte Innenstadt und den Bereich in der Nähe des Stadions sowieso in eine Zone verwandeln, die so gut bewacht ist wie ein Banktresor. Aus der Sicht der Hacker ist es hauptsächlich das, was die Fußball-WM der pfälzischen Fußballmetropole bringen wird: Überwachung noch und nöcher. Wenn während der WM nichts passiert, werde man dies als Indiz werten, dass Überwachung Sicherheit bringt, und sie beibehalten. Wenn etwas passiert, wird man dies als Begründung heranziehen, noch stärker zu überwachen - so der Verdacht der Hacker. Entropia, ein eingetragener Verein, der sich laut seiner Satzung für die Integration der neuen Medien in die Gesellschaft, die Aufklärung über Techniken, Risiken und Gefahren dieser Medien sowie die Wahrung der Menschenrechte und des Verbraucherschutzes in Computernetzen" einsetzt, ist der größte formelle Zusammenschluss von Hackern im deutschen Südwesten. Sein Einzugsbereich umfasst auch die Pfalz - allerdings denken die Hacker kaum in geographischen Kategorien. Sie wissen deshalb selbst nicht genau, wo die Leute aus der Szene überhaupt wohnen.
Wer verstehen will, warum sich Hacker für Datenschutz interessieren, der wird sich von dem Klischee verabschieden müssen, dass vor den Computernerds und ihrer grenzenlosen Neugierde nichts sicher sei. Neugierig und verspielt sind sie wirklich, das geben sie auch offen zu. Simon, der wie Julian Informatik studiert, erzählt, dass er manchmal über das Internet Sicherheitsprüfungen bei Unternehmen vornimmt - und kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Denn davon wissen die Firmen nichts. Fündig wird er offenbar immer wieder einmal. Manche Lücken seien haarsträubend, Einstiegspunkte für Datendiebe würden monatelang nicht repariert. Leute, die dieselben Fähigkeiten wie er besitzen, können sich solche Lücken zunutze machen und massiven Schaden verursachen - das sind dann die. die in den Medien tatsächlich als
.Hacker" auftauchen, von der Szene aber meist verachtet werden, weil sie ein schlechtes Licht auf alle werfen. Simon versichert, sich an eine Art ungeschriebenen Ehrenkodex zu halten: Er teile den betroffenen Unternehmen seine Entdeckungen mit, damit die Lücken geschlossen werden könnten. Die Reaktionen bewegten sich dann zwischen Ignoranz, eiligen und kommentarlosen Reparaturen - und Jobangeboten.
In den Augen der Hacker gibt es aber viele Daten, die durchaus geschützt und geheim gehalten werden müssen, und zwar solche, die sich auf einzelne Personen beziehen. Also genau die, die viele Menschen bedenkenlos hergeben. „Es fehlt das Bewusst-sein, was man mit den Daten machen kann", klagt Andreas. Der Germersheimer, der über die Elektrotechnik zum Programmieren kam, hat sich unter anderem intensiv mit Datenbanken befasst. Dabei sei ihm bewusst geworden, erzählt er. welches Potenzial in großen Sammlungen von personenbezogenen Daten stecke - auch, wie sich das gesammelte Wissen Ober einen Menschen in Datenbanken gegen diesen wenden könne.
 
Das Paradebeispiel dafür ist Scoring. Dieses Verfahren entscheidet unter mden darüber, ob jemand einen Kredit bekommt oder nicht, unter welchen Bedingungen das geschieht, welche Art von Versicherungsvertrag jemand abschließen darf, ob er einen Handyvertrag bekommt, ob eine Möglichkeit eingeräumt wird, ein neues Auto zu finanzieren. Spezialisierte Firmen sammeln so viele Daten, wie sie über das Konsum- und Finanzgebaren eines Menschen bekommen können. Das ist nicht so schwer: Über die Schufa, über eine so genannte Gebäudeeinschätzung - die aus einer weiteren, flächendeckenden Datenbank mit Bewertungen von Wohnhäusern gewonnen wird -, aus demographischen und statistischen Daten und weiteren Quellen wird eine Punktzahl (englisch score) errechnet, die Auskunft darüber geben soll, wie kreditwürdig jemand ist. Darüber entscheidet unter Umständen schon der Wohnort - indem, wer in einem feineren Viertel wohnt, auch gegen Rechnung geliefert bekommt. Leute aus ärmeren Gegenden zahlen Vorkasse. Scoring-Firmen brüsten sich damit, zu jedem Einwohner Deutschlands einen Score errechnen zu können. Was den Score übrigens unter anderem verschlechtert, ist eine Abfrage des eigenen Punktestands Die Konsumenten sollen konsimieren, keine Fragen stellen.
Was aber ist problematisch an der Videoüberwachung? Wer ehrlich ist. nichts zu verbergen hat. nichts Böses vorhat, der wird doch kein Problem damit haben, sich auf einem öffentlichen Platz filmen zu lassen. Dieses Argument hören Datenschutzaktivisten immer wieder. Argumentiert wird auch mit gesunkenen Krimmalitätsraten an Stellen, an denen schon länger überwacht wird, zum Beispiel in englischen  Innenstädten.  Daten-Schützer    halten    dagegen, dass sich die Kriminalität nur von den Kameras weg verlagert - wer Böses im Sinn hat, findet einen Weg, es zu tun. Alle anderen müssen sich mit dem allgemeinen Misstrauen der Behörden abfinden und damit, vielleicht irgendwann unter einen ebenso konkreten wie falschen Verdacht zu geraten, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Und die Freiheit, braver Bürger oder nicht, schränkten Kameras auf psychologischem Weg so oder  so  ein,  argumentiert  Simon: „Wenn der Mensen weiß, dass er überwacht wird, verhält er sich anders."
Was Datenschützern und damit auch den Entropia-Mitgliedern zusätzlich Bauchschmerzen bereitet, ist der vermehrte Einsatz von passiven Funk-Computerchips, so genannten RFID-Chips. RFID steht für „radio frequency identification". also „Funk-Erkennung". Diese Chips werden aktiviert, sobald sie in die Nähe eines speziellen Senders kommen. Dann können die in ihnen enthaltenen Daten ausgelesen werden. RFID-Chips sind bei verschiedenen Supermarkt-Ketten bereits als Preisschild im Einsatz. Und übrigens auch in den Eintrittskarten für die Spiele der Fußball WM. Der Alptraum von Datenschützern sind RFID-Chips allüberall - zum Beispiel auch in Pässen und Ausweisen, die Menschen oft bei sich tragen, wodurch sie bei einer ausreichenden Abdeckung mit Sendern fast schon metergenaue Datenspuren hinterlassen würden.
Ob damit jemand etwas anfangen kann? Im Moment vielleicht noch nicht, sagen die Entropianer. Aber die Erfahrung zeige, dass Möglichkeiten zur Identifikation und Überwachung genutzt wurden, sobald sie einmal da seien. Das Vorhandensein von entsprechenden Vorrichtungen wecke Begehrlichkeiten, argumentieren sie. Und es führe zu einem Generalverdacht, unter den jeder falle, der zufällig ein bestimmtes Verhaltensprofil aufweise. Aber: „Man muss vorsichtig sein, um nicht in die Verschwörungstheorie abzugleiten", räumt Julian ein.
Verschwörungstheorien sind beliebt bei Hackern - warum, weiß niemand so genau. Es könnte die mit der natürlichen Neugierde einher gehende Lust am Obskuren, am Verborgenen sein. Viele Hacker sind sich dessen durchaus bewusst und erschaffen parodistische Theorien, von denen die bekannteste die "Bielefeld-Verschwörung" ist; Kernthese: Bielefeld gibt es in Wirklichkeit gar nicht, jeder Hinweis auf die Existenz dieser Stadt ist nur ein Täuschungsmanöver. Das ist Hacker-Humor.  Noch verschlungener wird es, wenn sie ihre technischen Insider-Witze zelebrieren und so manche bizarre Idee zum Artefakt gerinnt, irgendwo zwischen angewandtem Unsinn und Kunst. Meist kommt darin die Hacker-Angewohnheit zum Ausdruck, Dinge mit anderen Augen zu sehen. Aber mit dem wachsenden politischen Bewusstsein der Szene hat sich auch Missionseifer darunter gemischt. Es geht auch darum, etwas zu vermitteln. Die Botschaft lautet, dass es besser ist, sich mit der Technik auszukennen, die man nutzt.
Und Spaß mit ihr zu haben. Warum nicht, sagten sich vor ein paar Jahren Mitglieder des CCC, einmal ein Hochhaus als Computerdisplay benutzen? Auf diese Weise entstand Blinkenlights: Eine aufwändige rechnergesteuerte Installation aus starken Leuchten in jedem Fensterraum eines Bürobaus, die die gesamte Front des Hauses in eine gigantische Anzeigematrix für einfache schwarzweiße Computergrafiken verwandelt. Die verrückte Idee wurde tatsächlich einige Male umgesetzt, zuletzt an einem Hochhaus am Berliner Alexanderplatz zur Jahreswende 2003/2004. Die Entropia-Hacker basteln in der Regel ein paar Nummern kleiner, aber nicht weniger humorig. Sinnbildlich dafür steht ein Toaster auf dem Tisch im Clubheim. Es ist ein handelsüblicher Toaster, aber ausgerechnet diese Art Gerät fasziniert die Hacker-Kultur auf eine unerklärliche Art und Weise: meist steht das Wort „Toaster" für die primitivste Art von technischem Gerät, die man sich denken kann. Der Toaster der Karlsruher Hacker hat einen würfelförmigen Aufbau aus rosafarbenen Leuchtdioden, die in rhythmischen Mustern aufleuchten - naturlich chipgesteuert. Im Prinzip handelt es sich um eine einfache dreidimensionale Computeranzeige.
Die Hacker wissen, dass aus ihrem Interesse an der Technik erst ihr eigenes politisches Interesse entstanden ist. Bei Entropia werden deshalb zum Beispiel Vorträge und Diskussionsrunden angeboten. Und die Hacker wollen weiter daran arbeiten, das Bewusstsein für das Leben in der Kommunikationsgesellschaft zu schärfen. Simon zieht es nach dem Studium in die Forschung auf dem Gebiet seines Steckenpferds, der Sicherheitstechnik. Und Julian möchte in Richtung Gesellschaftswissenschaften gehen, wenn er sein Studium abgeschlossen hat - das persönliche Hacker-Motto immer im Hinterkopf: „Man arrangiert sich nicht mit dem Gegebenen, sondern macht etwas Kreatives damit."
</blockquote>


[[Kategorie:Entropia]]
[[Kategorie:Entropia]]

Aktuelle Version vom 3. Juli 2011, 13:02 Uhr

Rheinpfalz.jpg

Artikel in der Rheinpfalz-Zeitung Januar 2006. Text:

Die Neugierilla Politik und Spieltrieb, blinkende Lichter, Toaster und die Fußball-WM: Was Hacker umtreibt, betrifft jeden / Von Thomas Huber Leises Surren von Rechnern, abgewetzte Sofas und Sessel, gedämpftes farbiges Licht, junge Menschen, die unbeweglich in Computermonitore starren und ab und zu etwas auf der Tastatur cintip-pen - es ist leicht, so leicht, den üblichen Klischees auf den Leim zu gehen, wenn man bei Hackern zu Besuch ist. Es wäre bestimmt auch leicht, mit den Leuten, die sich in ihren Clubräumen unterm Dach des Karlsruher Gewerbehofs versammelt haben, stundenlang fachzusimpeln über Programmiersprachen, Netzwerke und Protokolle, über Computer-und Kommunikationstechnik. Simon, Julian und Andreas von „Entropia" sprechen stattdessen über die Fußballweltmeisterschaft. Entropia ist der Karlsruher Erfa-(Erfahrungsaustausch-)Kreis des Hackervereins Chaos Computer Club (CCC). Dessen Logo, der „Chaos-Knoten" (in der Seitenmitte), ist so etwas wie das halboffizielle Emblem der Hacker in Deutschland. Die „Datenreisenden", wie sie sich selbst manchmal nennen, diskutieren freilich aus ihrer Sicht über die WM. Und da geht es nicht so sehr um die Chancen einzelner Mannschaften oder interessante Spielpaarungen, sondern um den Verlierer, der ihrer Meinung nach schon feststeht: den Datenschutz. „Kaiserslautern ist WM-Stadt. Karlsruhe zum Glück nicht", zieht Entropia-Pressesprecher und Informatikstudent Julian Finn eine erste bedrückte Bilanz der Weltmeisterschafts-Vorbereitungen. Ganz davon abgesehen, dass schon die Datensammlung beim Kartenvorverkauf aus der Sicht des Datenschutzes ein sehr schlechtes Geschäft für die Fußballfans gewesen sei: "Unglaublich viele Sachen" seien da gelaufen, "bei denen man als normal denkender Mensch eigentlich sagen muss, ich mach das nicht mit", sagt Simon. Den Grund für die Skepsis liefert Julian: „In Kaiserslautern haben sie bald mehr Überwachungskameras als Einwohner." Das stimmt natürlich nicht ganz: aber immerhin rund 200 Kameras sollen nach aktuellem Planungsstand nahezu die gesamte Innenstadt und den Bereich in der Nähe des Stadions sowieso in eine Zone verwandeln, die so gut bewacht ist wie ein Banktresor. Aus der Sicht der Hacker ist es hauptsächlich das, was die Fußball-WM der pfälzischen Fußballmetropole bringen wird: Überwachung noch und nöcher. Wenn während der WM nichts passiert, werde man dies als Indiz werten, dass Überwachung Sicherheit bringt, und sie beibehalten. Wenn etwas passiert, wird man dies als Begründung heranziehen, noch stärker zu überwachen - so der Verdacht der Hacker. Entropia, ein eingetragener Verein, der sich laut seiner Satzung für die Integration der neuen Medien in die Gesellschaft, die Aufklärung über Techniken, Risiken und Gefahren dieser Medien sowie die Wahrung der Menschenrechte und des Verbraucherschutzes in Computernetzen" einsetzt, ist der größte formelle Zusammenschluss von Hackern im deutschen Südwesten. Sein Einzugsbereich umfasst auch die Pfalz - allerdings denken die Hacker kaum in geographischen Kategorien. Sie wissen deshalb selbst nicht genau, wo die Leute aus der Szene überhaupt wohnen. Wer verstehen will, warum sich Hacker für Datenschutz interessieren, der wird sich von dem Klischee verabschieden müssen, dass vor den Computernerds und ihrer grenzenlosen Neugierde nichts sicher sei. Neugierig und verspielt sind sie wirklich, das geben sie auch offen zu. Simon, der wie Julian Informatik studiert, erzählt, dass er manchmal über das Internet Sicherheitsprüfungen bei Unternehmen vornimmt - und kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Denn davon wissen die Firmen nichts. Fündig wird er offenbar immer wieder einmal. Manche Lücken seien haarsträubend, Einstiegspunkte für Datendiebe würden monatelang nicht repariert. Leute, die dieselben Fähigkeiten wie er besitzen, können sich solche Lücken zunutze machen und massiven Schaden verursachen - das sind dann die. die in den Medien tatsächlich als .Hacker" auftauchen, von der Szene aber meist verachtet werden, weil sie ein schlechtes Licht auf alle werfen. Simon versichert, sich an eine Art ungeschriebenen Ehrenkodex zu halten: Er teile den betroffenen Unternehmen seine Entdeckungen mit, damit die Lücken geschlossen werden könnten. Die Reaktionen bewegten sich dann zwischen Ignoranz, eiligen und kommentarlosen Reparaturen - und Jobangeboten. In den Augen der Hacker gibt es aber viele Daten, die durchaus geschützt und geheim gehalten werden müssen, und zwar solche, die sich auf einzelne Personen beziehen. Also genau die, die viele Menschen bedenkenlos hergeben. „Es fehlt das Bewusst-sein, was man mit den Daten machen kann", klagt Andreas. Der Germersheimer, der über die Elektrotechnik zum Programmieren kam, hat sich unter anderem intensiv mit Datenbanken befasst. Dabei sei ihm bewusst geworden, erzählt er. welches Potenzial in großen Sammlungen von personenbezogenen Daten stecke - auch, wie sich das gesammelte Wissen Ober einen Menschen in Datenbanken gegen diesen wenden könne.

Das Paradebeispiel dafür ist Scoring. Dieses Verfahren entscheidet unter mden darüber, ob jemand einen Kredit bekommt oder nicht, unter welchen Bedingungen das geschieht, welche Art von Versicherungsvertrag jemand abschließen darf, ob er einen Handyvertrag bekommt, ob eine Möglichkeit eingeräumt wird, ein neues Auto zu finanzieren. Spezialisierte Firmen sammeln so viele Daten, wie sie über das Konsum- und Finanzgebaren eines Menschen bekommen können. Das ist nicht so schwer: Über die Schufa, über eine so genannte Gebäudeeinschätzung - die aus einer weiteren, flächendeckenden Datenbank mit Bewertungen von Wohnhäusern gewonnen wird -, aus demographischen und statistischen Daten und weiteren Quellen wird eine Punktzahl (englisch score) errechnet, die Auskunft darüber geben soll, wie kreditwürdig jemand ist. Darüber entscheidet unter Umständen schon der Wohnort - indem, wer in einem feineren Viertel wohnt, auch gegen Rechnung geliefert bekommt. Leute aus ärmeren Gegenden zahlen Vorkasse. Scoring-Firmen brüsten sich damit, zu jedem Einwohner Deutschlands einen Score errechnen zu können. Was den Score übrigens unter anderem verschlechtert, ist eine Abfrage des eigenen Punktestands Die Konsumenten sollen konsimieren, keine Fragen stellen. Was aber ist problematisch an der Videoüberwachung? Wer ehrlich ist. nichts zu verbergen hat. nichts Böses vorhat, der wird doch kein Problem damit haben, sich auf einem öffentlichen Platz filmen zu lassen. Dieses Argument hören Datenschutzaktivisten immer wieder. Argumentiert wird auch mit gesunkenen Krimmalitätsraten an Stellen, an denen schon länger überwacht wird, zum Beispiel in englischen Innenstädten. Daten-Schützer halten dagegen, dass sich die Kriminalität nur von den Kameras weg verlagert - wer Böses im Sinn hat, findet einen Weg, es zu tun. Alle anderen müssen sich mit dem allgemeinen Misstrauen der Behörden abfinden und damit, vielleicht irgendwann unter einen ebenso konkreten wie falschen Verdacht zu geraten, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Und die Freiheit, braver Bürger oder nicht, schränkten Kameras auf psychologischem Weg so oder so ein, argumentiert Simon: „Wenn der Mensen weiß, dass er überwacht wird, verhält er sich anders." Was Datenschützern und damit auch den Entropia-Mitgliedern zusätzlich Bauchschmerzen bereitet, ist der vermehrte Einsatz von passiven Funk-Computerchips, so genannten RFID-Chips. RFID steht für „radio frequency identification". also „Funk-Erkennung". Diese Chips werden aktiviert, sobald sie in die Nähe eines speziellen Senders kommen. Dann können die in ihnen enthaltenen Daten ausgelesen werden. RFID-Chips sind bei verschiedenen Supermarkt-Ketten bereits als Preisschild im Einsatz. Und übrigens auch in den Eintrittskarten für die Spiele der Fußball WM. Der Alptraum von Datenschützern sind RFID-Chips allüberall - zum Beispiel auch in Pässen und Ausweisen, die Menschen oft bei sich tragen, wodurch sie bei einer ausreichenden Abdeckung mit Sendern fast schon metergenaue Datenspuren hinterlassen würden. Ob damit jemand etwas anfangen kann? Im Moment vielleicht noch nicht, sagen die Entropianer. Aber die Erfahrung zeige, dass Möglichkeiten zur Identifikation und Überwachung genutzt wurden, sobald sie einmal da seien. Das Vorhandensein von entsprechenden Vorrichtungen wecke Begehrlichkeiten, argumentieren sie. Und es führe zu einem Generalverdacht, unter den jeder falle, der zufällig ein bestimmtes Verhaltensprofil aufweise. Aber: „Man muss vorsichtig sein, um nicht in die Verschwörungstheorie abzugleiten", räumt Julian ein. Verschwörungstheorien sind beliebt bei Hackern - warum, weiß niemand so genau. Es könnte die mit der natürlichen Neugierde einher gehende Lust am Obskuren, am Verborgenen sein. Viele Hacker sind sich dessen durchaus bewusst und erschaffen parodistische Theorien, von denen die bekannteste die "Bielefeld-Verschwörung" ist; Kernthese: Bielefeld gibt es in Wirklichkeit gar nicht, jeder Hinweis auf die Existenz dieser Stadt ist nur ein Täuschungsmanöver. Das ist Hacker-Humor. Noch verschlungener wird es, wenn sie ihre technischen Insider-Witze zelebrieren und so manche bizarre Idee zum Artefakt gerinnt, irgendwo zwischen angewandtem Unsinn und Kunst. Meist kommt darin die Hacker-Angewohnheit zum Ausdruck, Dinge mit anderen Augen zu sehen. Aber mit dem wachsenden politischen Bewusstsein der Szene hat sich auch Missionseifer darunter gemischt. Es geht auch darum, etwas zu vermitteln. Die Botschaft lautet, dass es besser ist, sich mit der Technik auszukennen, die man nutzt. Und Spaß mit ihr zu haben. Warum nicht, sagten sich vor ein paar Jahren Mitglieder des CCC, einmal ein Hochhaus als Computerdisplay benutzen? Auf diese Weise entstand Blinkenlights: Eine aufwändige rechnergesteuerte Installation aus starken Leuchten in jedem Fensterraum eines Bürobaus, die die gesamte Front des Hauses in eine gigantische Anzeigematrix für einfache schwarzweiße Computergrafiken verwandelt. Die verrückte Idee wurde tatsächlich einige Male umgesetzt, zuletzt an einem Hochhaus am Berliner Alexanderplatz zur Jahreswende 2003/2004. Die Entropia-Hacker basteln in der Regel ein paar Nummern kleiner, aber nicht weniger humorig. Sinnbildlich dafür steht ein Toaster auf dem Tisch im Clubheim. Es ist ein handelsüblicher Toaster, aber ausgerechnet diese Art Gerät fasziniert die Hacker-Kultur auf eine unerklärliche Art und Weise: meist steht das Wort „Toaster" für die primitivste Art von technischem Gerät, die man sich denken kann. Der Toaster der Karlsruher Hacker hat einen würfelförmigen Aufbau aus rosafarbenen Leuchtdioden, die in rhythmischen Mustern aufleuchten - naturlich chipgesteuert. Im Prinzip handelt es sich um eine einfache dreidimensionale Computeranzeige. Die Hacker wissen, dass aus ihrem Interesse an der Technik erst ihr eigenes politisches Interesse entstanden ist. Bei Entropia werden deshalb zum Beispiel Vorträge und Diskussionsrunden angeboten. Und die Hacker wollen weiter daran arbeiten, das Bewusstsein für das Leben in der Kommunikationsgesellschaft zu schärfen. Simon zieht es nach dem Studium in die Forschung auf dem Gebiet seines Steckenpferds, der Sicherheitstechnik. Und Julian möchte in Richtung Gesellschaftswissenschaften gehen, wenn er sein Studium abgeschlossen hat - das persönliche Hacker-Motto immer im Hinterkopf: „Man arrangiert sich nicht mit dem Gegebenen, sondern macht etwas Kreatives damit."