GPN4:Zur Dialektik von Dope und Mate: Unterschied zwischen den Versionen

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Daniel Kulla: Germany might trick me once - Zur Dialektik von Dope und Mate (Samstag, 19.30, Intercal)
Vortrag/Lesung von [[Benutzer:Classless|Daniel Kulla]] auf der [[GPN4]].


* [http://myblog.de/showone.php?blog=classless&id=1383126 kompletter Vortragstext mit Bonusbeats über Ada Lovelace]
== Inhalt ==
 
Daniel Kulla stellte seinen Text "Germany might trick me once" vor.
 
== Germany might trick me once. ==
 
'''Zur Dialektik von Dope und Mate.'''
 
''Von Daniel Kulla''
 
"We get high on all types of drugs when all you really need is love to get by, just to get by", rappt Talib Kweli. Ist die Fremdsteuerung des Körpers einmal etabliert, ermöglichen Drogen doppelseitige chemische Kompensation - zum einen für den realen Verlust an Lebendigkeit durch Arbeit und Konsum; zum andern dafür, den Idealen der Verwertbarkeit nicht zu entsprechen, ihnen letztlich nicht entsprechen zu können.
England 1830: "Die Zunahme des Teetrinkens war zum Teil ein Ersatz für Bier, vielleicht auch für Milch. Die Zeitgenossen - allen voran Cobbett - sahen darin einen erneuten Beweis für die Verschlechterung ihrer Lage. Tee wurde als ärmlicher Ersatz und - zusammen mit dem zunehmenden Spirituosenkonsum - als Hinweis auf ein Bedürfnis nach Aufputschmitteln betrachtet, verursacht durch überlange Arbeitszeit und ungenügende Ernährung."
 
Der aktuelle Zustand der unübersichtlichen Drogengesetzgebung wird für das selbständige Individuum noch durch die Abwesenheit eines gesicherten Erkenntnisstands über Set und Setting, Wirkungsweise und Rahmenbedingungen ergänzt. Das Risiko liegt beim Konsumenten, obwohl er es nicht kontrollieren kann. Die Informationspflicht liegt gleichermaßen bei ihm, obwohl Forschung und ihre Darstellung zur Hälfte illegal, zur Hälfte im Sinne der Hersteller verfremdet vorliegen.
 
Mit dem Rauch waren die Überraschungen gekommen, im sich verdichtenden Nebel der Hackerrunde verschwanden sie wieder. Die eiligst - also in weniger als einer halben Stunde aus dem mehrere Meter entfernten Automaten - herbeigeholte Flasche Mate brachte sie dann nur teilweise zurück: die Überraschungen. Was für Überraschungen eigentlich? - Ach ja. Kong hatte von einem Buch herumgeschwärmt, von dem wiederum seine politischen Kumpels ihm vorgeschwärmt hatten, das aber niemand bisher wirklich gelesen hatte, weil es kein pdf davon gab. Jetzt wollte Bob, der mit der Mate in der Hand vor seinem Notebook wieder Platz nahm, danach suchen."Wie hieß das Teil noch mal?" fragte er.
"The Protracted Game", antwortete Kong. "Untertitel: A Wei Chi Interpretation of Maoist Revolutionary Strategy. Ist von einem Scott Boorman. Ist auch schon etwas älter irgendwie, aus den Sechzigern oder so."    "Scheiße, ich hab kein Netz", sagte Bob tonlos. Und rief laut in die Runde: "Hat sich der Server wieder verabschiedet?"                                                                                           
 
Aus dem Nachbarraum kam prompt die Auskunft: "Ich bin schon dran! Kann aber noch ein bißchen dauern."
"Na gut, dann muß uns Kong erzählen, was genau in dem Buch steht."
"Oh je, Offline-Debatte", witzelte Panda und verdrehte die Augen.
"Muß ich? Naja", sagte er verlegen, während er in die Seitentasche seines Kapuzenpullis griff, "erstmal einen bauen."                                                                                              Synchron zu Kongs Bewegungen packten auch die anderen so abrupt Entnetzten am Tisch flache, runde Döschen, Plastetütchen und Feuerzeuge aus. Ohne Eile wurde gefaltet und geleckt. Nur Bob suchte nach einer Funkverbindung - was noch nie geklappt hatte. Er war im Grunde froh, durch seinen kurzen Ausflug zum Klo und zum Getränkespender wieder etwas nüchterner geworden zu sein und sagte: "Ich will ja nicht spießig klingen, aber wenn ich in breitem Zustand auch noch so viele Hintertürchen und Umgehungen entdecke, durchgegangen bin ich eigentlich immer erst, wenn ich kurzzeitig mal klargesehen habe." Die ausbleibende Reaktion, das anhaltende Rascheln und Knipsen überspielte er mit: "Wir hatten es aber gerade von dem Maoisten-Schinken. Was ist nun der Punkt?"                                                   
 
Kong stützte seine Hände auf die Oberschenkel und blickte aus dem Fenster in den dunklen Hinterhof. "Irgendwie", fing er an, "geht es darum, daß Maos Volksbefreiungsarmee irgendwie mehr Go gespielt hat und die Kuomintang mehr Schach. Also, daß irgendwie die Strategie, die sie irgendwie gefahren sind, also", er leckte an seiner Bastelarbeit, "daß es bei der Kuomintang eher westlich abging, daß sie nur eins zu eins gekämpft haben irgendwie und ein definiertes Gebiet besetzen wollten und kontrollieren irgendwie, daß aber Mao ganz anders an die Sache heranging. Also, Go heißt auf chinesisch Wei Chi, und da gibt es sowas wie Hinterhalt und Umkreisungen, und das ist irgendwie nicht so statisch als Konzept."                                "Das heißt sozusagen, daß Guerillakrieg dem westlichen Denken widerspricht?" wollte Bob wissen.
"Naja", Kong angelte sich einen Ascher von der Mitte des Tisches, "für Mao waren die einzelnen Steine irgendwie nicht so festgelegt. Bei Go sehen die Steine ja alle irgendwie gleich aus und haben ihre Bedeutung nur nach der Stelle, an der sie liegen. Irgendwie."                                                        Vom Ende des Tisches mischte sich Tascha ein: "Aber es geht doch schon um reale Leute, oder? Die sind doch eher nicht identisch?" Sie runzelte die Stirn. "Für Mao vielleicht schon", sagte Bob und lachte kurz.
"Oh Mann, ja", machte Kong, "aber darum geht's doch gar nicht. Die Volksbefreiungsarmee hat irgendwie viel netzwerkmäßiger gekämpft, die einzelnen Teile wurden gleichberechtigt betrachtet und nur irgendwie nach ihrer aktuellen Funktion eingesetzt. Irgendwie."       
 
Panda atmete seinen ersten Beitrag zur Nebelverdichtung aus und dachte laut nach: "Vielleicht war deshalb für Mao der Imperialismus ein Papiertiger, weil er nur nach klassischer Strategie so mächtig wirkte, aber letztlich doch ausgetrickst werden konnte, wenn man einer anderen Logik folgte."                          "Genau", setzte Kong triumphierend fort, "das ist eben wie heute im Nahen Osten irgendwie, wo sie auch eine andere Logik anwenden."
Bob versuchte, ihm mit einem Blick den Mund zuzunähen. "Jetzt geht das wieder los", stöhnte er auf. "Was für eine Logik denn?"
"Na, sie führen die Amis an der Nase herum, indem sie ihnen zeigen, daß es nichts bringt irgendwie, das Land besetzt zu haben, wenn immer noch überall Bomben hochgehen."
"Das muß man aber erst mal für eine gute Sache halten", wandte Tascha ein, die ihren kleinen Tribut an die marokkanische Landwirtschaft noch nicht zu gerollt hatte.
"Wenn sie's anders nicht kapieren", erwiderte Kong patzig.
Bob schwieg. Er schien zu hoffen, daß sich das Thema von allein wieder erledigen würde, daß es sich wie meistens einfach in Luft bzw. Rauch auflösen würde. Seinen Spitznamen hatte er zwar ursprünglich wegen seiner Begeisterung für eine psychoaktiven Gabber-Track erhalten, in dem es ständig "I got a Bob in here, I got a bob-bob-bob-bob" ging. Vor ein paar Monaten jedoch hatte er das Kürzel selbst auf den Song "B.O.B." von Outkast bezogen -  "Bombs over Bagdad" - und das war kein Statement gegen den Krieg, weil er seine Mails gelegentlich auch mit "Bombs on Berlin" unterschrieb. Auch wenn er es haßte, von den Antiimperialisten in die Schublade mit dem Aufkleber ~Bantideutsch~R gesteckt zu werden, gehörte er dort noch am ehesten hinein. Das Problem bestand darin, daß er als Insasse dieser Schublade im Grunde für fast alle anderen Menschen als verrückt galt, daß er aus dieser Schublade heraus nicht wirklich diskutieren konnte, weil seine Äußerungen gar nicht beurteilt, sondern nur als unterschiedlich absurd eingestuft wurden. Sein Verweis auf die Zeitschrift Bahamas, die er noch am wenigsten irre fand, wurde wahlweise mit dem Dooffinden ihrer Überschriften oder dem Statement "Das ist alles zu schlau" beantwortet.
 
Das Thema verschwand leider nicht so einfach, vielleicht, weil Tascha in der Zwischenzeit das Fenster geöffnet hatte. Kong beharrte: "Das zeigt doch, daß der Imperialismus irgendwie gar nicht so auf dem letzten Stand der Technik ist, wie er behauptet. Ich finde auf jeden Fall, daß die Guerilla-Taktik viel moderner irgendwie ist, auch viel eher eben hackerstyle, als die Amis mit ihrer hochgezüchteten Technik irgendwie, die dann doch nicht funktioniert." Er klang jetzt etwas maulig, weil er das Gefühl hatte, daß ihn keiner richtig ernstnahm. Seinen Spitznamen hatte er sich zum ersten Mal in einem Spieleforum gegeben, in dem ständig seine selbstgebastelten Szenarien über die Oktoberrevolution, den Spanischen Bürgerkrieg und eben den Vietnamkrieg als ideologisch bekrittelt worden waren - von den gleichen Leuten, die völlig ideologiefrei deutsche Panzer über die virtuell nachgestalten Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges steuerten. Auch wenn er es haßte, von den Antideutschen in die Schublade mit dem Aufkleber 'antiimp' gesteckt zu werden, vor allem weil er sich selbst eher ins ökologische oder vielleicht auch so globalisierungskritische Spektrum rechnete, sah er doch nicht ein, was daran schlimm sein sollte, den konkreten heutigen Imperialismus anzugreifen. Das Problem bestand darin, daß in dieser Schublade lauter Leute herumsaßen, mit denen er ums Verrecken nichts zu tun haben wollte. So oft er die Unterschiede zu den 'rechten' Antiimperialisten auch betonte, verwendeten die Antideutschen seine unfreiwilligen Kollegen dennoch gegen ihn. In den Texten, die er in Online-Diskussionen zitierte, fanden sie immer einen kleinen Haken, irgendwas Nebensächliches, was sie für antisemitisch oder antiamerikanisch hielten - oder sie erklärten ganze Gedankengänge für "zu blöd".
 
Jetzt hatte er aber den Eindruck, daß sich gerade Bob der Diskussion entzog - und zwar hauptsächlich, weil das besprochene Buch offensichtlich nicht in sein Bild paßte. Kong wollte es ihm aber nicht so einfach machen und fragte ihn direkt: "Sehen für dich die Amis nicht irgendwie aus wie Dinosaurier? Ist das dezentrale Vernetzen von Volkswiderstand nicht viel moderner, als irgendwie old school ungebeten mit der Army irgendwo einzumarschieren?"
 
Bob drehte den Deckel seiner Mateflasche hin und her, grübelnd, ob und wie er antworten sollte. Obwohl nüchterner als noch vor einer halben Stunde, fiel es ihm schwer sich zu konzentrieren, weil er ständig von dem Gefühl befallen wurde, daß die Flasche in seiner Hand vibrieren würde. Er war sich auch unsicher, ob er vielleicht unbewußt mit der Flasche herumwackelte - und ob das jemand mitbekam und bloß nicht sagte. Ob Tascha es mitbekommen und deshalb das Fenster aufgemacht hatte? Ob sie ihn für einen manischen Wichser hielt? Ob er vielleicht aus Versehen einen Spritzer Mate auf die Hose bekommen hatte?
Er kontrollierte sich, indem er ruckartig den Kopf senkte und die Mate beiseite nahm, wobei der lockere Deckel von der Flasche rutschte - und auf der bis eben völlig sauberen Hose nun ein Fleck prangte.
Das machte Bobs Position etwas unvorteilhafter. Dachte er, weil sie alle wegsahen, um ihn zu demütigen.  Er versuchte, sich etwas Originelles einfallen zu lassen, um von dem Problemkreis Vibration und Sperma abzulenken und so die Souveränität zurückzugewinnen. Er sagte: "Die US Army ist auch ungebeten in Deutschland eingedrungen und äh" - oh je, oh je - "hat hier bis heute völlig ungebeten Spuren hinterlassen." In das allgemein einsetzende Gegacker rief er: "Ja, sie haben den deutschen Volkskörper befleckt - mit Swing und Kaugummi und später auch mit eurem geliebten Dope!"
 
"Na, na, na", intervenierte Kong, der gerade einen besonders tiefen Zug genommen hatte und jetzt husten mußte, "dieses Zeug haben wir ganz bestimmt nicht von den Amis. Hast du Ströbele auf der letzten Hanfparade gehört? Er sagte, daß hier bei uns viele aus den alten Märchen Hanfseile und Hanfkittel kennen, die USA es trotzdem hingekriegt haben, Hanf auch in Europa zu Teufelszeug zu erklären."
"Naja", meinte Tascha, "hast du schon mal drüber nachgedacht, warum es hierzulande in Heidelberg mit dem Dope richtig losging? Das waren schon die GIs aus dem amerikanischen Hauptquartier..."
 
Bob grinste: "Gerade in diesem Augenblick sympathisiere ich vielleicht sogar mit Johann Calvin, der alle ausnüchtern wollte, damit sie aus ihrer gemeinschaftlichen Rauschseligkeit aufwachen und erstmal mitkriegen, was überhaupt los ist." Er versuchte in mehreren Anläufen, die Beine so zu verschränken, daß der Fleck verdeckt wurde, was ihm nicht wirklich gelang, und fuhr währenddessen fort: "Ich meine, eigentlich kiffen in Deutschland doch alle so wie sie saufen. Hauptsache viel, Hauptsache, möglichst breit sein, am besten so tun, als wäre gar nichts. 'Bist du etwa schon breit?! Ich noch gar nicht. Laß uns eimern!' Daß das Zeug auch anregend sein kann, merkt doch gar keiner mehr."
"Oh", sagte Panda, "ich habe letztens einen Kanadier Tüten bauen sehen, die nur aus Gras bestanden, Mann - da waren auch alle Lichter aus..."
Kong hatte innegehalten und nachdenklich sein Rauchwerk in den Ascher gehängt. "Aber das ist doch auch eine Fluchtstrategie irgendwie. Kiffen ist beim heutigen Leistungsdruck einfach irgendwie eine Möglichkeit, sich zu verweigern. Auch wenn ich meine Pflicht erfüllen will und diesen Drang partout irgendwie nicht wegkriege -  bekifft bin ich einfach nicht mehr verwertbar."
 
"Ist das wirklich so?" fragte Tascha, deren Baustelle weiterhin unvollendet vor ihr lag. "Bemühen sich nicht gerade die Hanfparade-Leute immer um den Nachweis, daß Kiffer trotzdem nützliche Mitglieder der Gesellschaft sind?" Sie betrachtete ihre Zusammenstellung grün-brauner Fäden und Klümpchen und hörte sich sagen: "Will den vielleicht wer anders anmachen?" Panda sah sie verwundert an: "Irgendwie sind alle schon versorgt. Außer unser Ober-Calvinist da drüben..."
Dilemma, dachte Bob, ich kann doch jetzt nicht so stur sein und Taschas Tüte zurückweisen.  Andererseits sind wir sonst zusammen nüchtern. Beziehungsweise nicht ganz so zugeknallt wie der Rest vom Fest.  Oder eben anders zugeknallt, nur angeknallt. Noch mal langsam: Wenn sie jetzt nichts raucht, wird es ihr so gehen wie mir gerade. Dann ist es vielleicht gar nicht dumm, etwas von ihr in den Mund zu nehmen. Und es könnte auch nicht dumm sein, selbst wieder ein bißchen bekiffter zu werden. Oder lieber noch nüchterner? Fühle ich mich beobachteter oder entspannter? Will ich mehr mitkriegen oder weniger? Und was?
 
"Ne-hetz!" rief Panda und unterbrach damit die amoklaufenden Gedanken. Sofort klapperten die Tastaturen und die Augen waren wieder fest auf die Bildschirme gerichtet. Auch Tascha wandte sich von ihrem halbfertigen Stick ab und suchte im Netz nach Beiträgen für die laufende Diskussion. Ihr waren die beinahe rituell gewordenen Schlagabtausch-Szenarien zwischen Bob und Kong, manchmal auch zwischen anderen anderswo, meist viel zu abgehoben und widerspruchsfrei, weshalb sie am liebsten Material aufspürte, das quer zum Streitthema lag oder die wirren Behauptungen falsifizierte. Wobei sie einräumen mußte, daß es schon eher Bob war, der sich wenigstens die Mühe machte, auf ihre Einwände einzugehen und der es nicht einfach wie die anderen vorzog, auf einen anderen Punkt auszuweichen. Aber auch Bob hatte nie ihren eigenen Nick verwendet - Ada, nach der genialen Ada Lovelace -, weil er ihn wohl mehr noch als alle anderen mit Pornostar Linda Lovelace verwechseln mußte oder wollte. Auf Ada hingewiesen, wurde von den Jungs immer mit prompter Verachtung für die gleichnamigen Girls' Day-Projekte (Slogan: "Was ich will, das kann ich!") reagiert. Unbekümmert verwendeten sie also die Kurzform ihres Vornamens in Anlehnung an Tasha Yar aus der Next Generation bei Star Trek, weil für sie eine schlaue Frau immer gleich die Kampflesbe sein mußte, die den heiligen Picard zu rabiaterem Vorgehen anstachelt, um ihn dann als genialen Diplomaten erscheinen zu lassen.
 
Als Ada Lovelace - achtzehnjährig - 1833 in die Londoner Gesellschaft eingeführt wird, bleibt Mary Somerville für die folgenden Jahre ihre bevorzugte Anstandsdame, denn sie verschafft Ada den begehrten Zugang zu den wissenschaftlichen Zirkeln und den "scientific people" von London. Der Mathematiker und Projektemacher Charles Babbage ist eine der Hauptfiguren dieser "Szene". Ada lernt ihn 1833 auf einer Party kennen. Auf einer seiner Abendgesellschaften nimmt sie Teil an der Vorführung eines Demonstrationsmodells der "Difference Engine". Babbage, dem manche eine chronische Unfähigkeit zur Dokumentation seiner Arbeiten nachsagen, ermuntert dann 1840 Ada, die sich intensiv mit der neuen Analytical Engine befaßt hatte, selbst etwas zu schreiben. Ihr mathematischer Durchblick ging dabei so weit, daß sie Ungereimtheiten in Babbages Ablaufschema zur Errechnung Bernoullischer Zahlen entdeckte - es war dies das erste verbürgte Debugging der Geschichte! Charles Babbage lobte die kluge junge Dame, die offenbar besser als die Kollegen die Bedeutung der "analytical" engine begriff. Das für damalige Vorstellungen recht ungleiche Wissenschaftler-Paar arbeitete von nun an eng zusammen, wenn es darum ging, die Grundlagen der Systemprogrammierung transparent zu machen. Auf einigen Gebieten der Umsetzung von Formeln in Funktionsschritte - heute würde man "Coden" sagen -, stellte Ada Gräfin Lovelace ihren Lehrmeister in den Schatten seiner eigenen Maschine. Sie reflektierte auch über das Problem der bedingten Verzweigung und erläuterte die Prozedur. Sie erfand das Zählregister für iterative Abläufe, konzipierte ein binär-arithmetisches Rechenverfahren und erträumte sich programmiertechnische Kniffe, die vor dem Siegeszug der modernen EDV eigentlich kaum denkmöglich gewesen sein konnten. Um das Genie der Engländerin gebührend zu beurteilen, muß man sich vergegenwärtigen, daß das Ursprungsmodell des 1944 konstruierten Automatic Sequence Controlled Calculator in seinem Befehlssatz noch keinen Sprungbefehl enthielt; der wurde erst später hinzugefügt, obwohl die Methode bereits seit hundert Jahren in Lady Lovelace' nachgelassenen Schriften stand. Ada Augusta Countess of Lovelace kam posthum zu Ehren, als ihr die computerbefaßte Fachwelt 1979 ein symbolisches Denkmal setzte: Die "Green Language", so der bis dahin gängige Arbeitstitel, wurde in "ADA" umbenannt. Es handelt sich um eine "high order language" für Real-Time-Programmierung, die das amerikanische Verteidigungsministerium in Auftrag gab, in dem nun bei jedem Befehl ein kleiner Anerkennungsimpuls mitschwingt, ein Erinnerungsbit an die wenig bekannte Tatsache, daß der erste Programmierer der Welt eine Frau war!
 
Das erste, was die lieber Ada genannte Tascha jetzt im Netz fand, waren Angaben über die beiden politischen Lager, denen sich Bob und Kong angeblich nicht zurechnen lassen wollten. Sie las vor: "Nach Verfassungsschutz-Angaben gibt es 50 Antiimperialisten in Berlin, doppelt so viele im Bundesgebiet; 1000 Autonome in Berlin, doppelt so viele bundesweit, von denen etwa die Hälfte sich als antideutsch bezeichnet oder so zugeordnet wird. Sie sagen im Bericht von 2004 lapidar, daß erstmals Linksextremisten gegen Linksextremisten demonstriert haben. Nach Angaben der Zeitschrift Bahamas sind 90% der Deutschen Antiimperialisten, allen voran Franz Müntefering und Horst Mahler. Nach Auffassung des kommunistischen Apokalyptikers Robert Kurz aus Nürnberg ist die Hälfte der linksradikalen Szene - das sind dann mehr als 10000 Personen - wegen der antideutschen Übernahme vormals linientreuer Zeitschriften ins antideutsche Lager verführt worden."
Bob fuhr gleich dazwischen, als wäre aller Nebel aufgelöst: "Nach meiner Auffassung waren die meisten Deutschen in den letzten 500 Jahren Antiimperialisten, angeführt von Thomas Müntzer, Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Engels."
 
Panda: "Thomas Müntzer?"
"Ja, Thomas Müntzer. Das Imperium waren natürlich die katholischen Habsburger, die die Welt beherrschen und besitzen wollten, Rettung war nur durch radikale Gleichmacherei und Rückbesinnung auf Scholle und Kreuz möglich. Die Hure Babylon jedoch, die im päpstlichen Avignon saß, sollte vernichtet werden, wie es Johannes von Patmos vorausgesagt hatte. Und den Blödsinn quatschen immer noch die ganzen Befreiungstheologen und Rastafarians nach."
"Ach komm", wehrte Panda ab, "du willst mir jetzt erzählen, der beknackte Kleinkrieg, den ihr führt, ist der Kampf zwischen Gut und Böse seit dem Ende des Mittelalters. Nehmt ihr euch nicht ein bißchen wichtig?"
Bob stoppte seine Tirade und nestelte wieder an der Mateflasche herum. Er schaute in eine Ecke des Raumes und schien auch ohne Worte zu sagen, daß ihn wieder mal niemand verstand. Er dachte daran, daß die Ereignisse der 1520er Jahre bis heute in ihrer Interessenlage unscharf geblieben sind, hat nicht zuletzt damit zu tun, daß der sich artikulierende Unmut nicht hauptsächlich auf eine Verbesserung der Lebensumstände ausgerichtet war, sondern bereits erschreckend deutsch nach einer Nivellierung des sozialen Niveaus und dezidiertem Rückschritt gerufen wurde. Die erhaltenen Forderungskataloge der aufständischen Bauern verlangen nicht etwa, die Gewinne der Handelsgesellschaften auszuschütten, sondern die Zerschlagung der Fugger, die im Ablaßhandel mit dem "christlichen Gewissen Schacher" getrieben hätten. Auch der Slogan "Stadtluft macht frei" erfreute sich geringer Popularität, die Städte ~V Metropolen wie Leipzig oder Zwickau zählten gerade 7000 Einwohner - sollten zurückgebaut und die Menschen wieder im Ländlichen angesiedelt werden, nicht nur wegen der immer wieder angeführten Gesundheit, sondern tatsächlich, um sich nicht weiter an der "Natur" zu vergehen. Schließlich wurde analog zum Arbeiterkult späterer Jahrhunderte das "Beackern der Scholle" verherrlicht und für unterschiedslos alle zur gemeinschaftlichen Pflicht erhoben, das Ganze unter der Knute einer nicht bürgerlich privatisierten Religion, sondern des vergemeinschafteten Christentums. Diese angestrebten Zustände wurden vorwiegend mit den Begriffen "himmlischer Frieden" und "christliche Liebe" bezeichnet.
 
"Geist gegen Buchstaben", sagte Bob kurz, "das war der Slogan von Müntzer. Also konnte er als Prophet alles so auslegen, wie es ihm paßte." Er hatte eine Seite mit Müntzer-Quotes gefunden und trug sie vor: "Zum Beispiel: 'Die Gottlosen haben kein Recht zu leben' oder: 'Man muß Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte. Dann wird der schöne rote Weizen beständige Wurzeln gewinnen und recht aufgehen. Die Engel aber, die ihre Sichel dazu schärfen, sind die ernsten Knechte Gottes, die den Eifer göttlicher Weisheit vollführen.' Kurz vor seinem Tod, schon nach der Gefangennahme und Folterung, wirft Müntzer dem 'Volk' noch vor, daß es ihn 'nicht recht verstanden' habe, sondern 'allein nach Eigennutz getrachtet, der zu Untergang der göttlichen Wahrheit führt.'"
Eine Weile war es ruhig, nur die Tasten waren zu hören, es wurde nachgeladen.
"Hört mal", sagte Tascha, "ich habe die beiden populärsten Songs der antideutschen Weblogs am Start. Vielleicht entspannt das ja die Lage. Der erste ist von Hakan, Koljah und Taiphun und heißt 'Danke nein'." Nach einem lustigen folkloristischen Geklingel setzte ein recht dicker Midtempobeat ein, der sogleich berappt wurde:
 
 
Danke nein, ich mein dein Style ist schon fresh/
 
und die Rhymes sind echt nett doch du peilst - scheinbar
irgendwie gar nichts
 
und erzählst irgendn Mist, den ich nich supporte
 
tut mir leid ich hab kein Bock auf son Dreck/
 
ich weiß - keiner ist perfekt, sei es in der Technik/
 
oder in den Flows aber wichtig ist die Message/
 
und - genau da ist das Problem, ich bin nicht 50 Cent/
 
weil ich nich in Clubs geh und Frauen auch nicht Bitches nenn/
 
tut mir leid, - ich will der Jugend was sagen/
 
ich will keine MC's die dauernd Schwule verarschen/
 
keine Rapper, die hier dauernd Judenwitze bringen/
 
ich brauch auch keine Westen die kugelsicher sind/
 
 
 
danke nein, ich mein dein style is schon fresh/
 
und wenn ich ehrlich bin, ich hör manchmal heimlich die tracks/
 
denn es is tight, wie du rappst - doch das is leider schon alles/
 
ich schau mich um und merk, du bist so scheiße wie alle/
 
du machst das gleiche wie alle - homophobe phrasen dreschen/
 
für die verharmlosung von auschwitz sollte man dir die nase brechen/
 
ich muss kotzen, wenn ich höre, wie du typ von frauen sprichst/
 
ich kotz auf all deine sachen, während du noch beim sound-check bist/
 
~ ich glaube nicht - dass die leute meine texte mögen/
 
doch ich scheiße auf die leute, weil sie DEINE texte mögen/
 
ich bin anti reaktion, also anti deutschrap/
 
ich bin anti alles, homie, check was das bedeutet
 
 
Jetzt wurden eine Reihe von Samples abgefahren, die im Sinne des Textes der Distinktion dienten. "Bis hierhin hab ich gar nichts dagegen", sagte Kong. "Eigentlich ist das jetzt nicht so besonders antideutsch, finde ich. Es ist einfach irgendwie nicht so blöd wie das meiste andere."
Panda nickte: "Der Diss ist zur Abwechslung mal nachvollziehbar, nicht einfach bloß sinnloses Rumgebattle. Oh, jetzt kommt die nächste Strophe..."
 
 
danke nein, ich mein dein - style ist schon fresh/
 
und zur Zeit bist du wohl die Nummer - eins im Geschäft/
 
mit den - heißesten Chicks - ready for the Lapdance/
 
und laberst in den Texten was von Battlen mit ner Mack 10/
 
aber sorry man, mir geht es nicht um~Rn Schmuckstein/
 
ich rede von meinem Leben pack die Seele in die Hookline/
 
und ich scheiß auf dich und deinen harten Lebensstil/
 
du willst immer Krieg bis du dann die Tagesthemen siehst/
 
--- dann fühlst du dich gezwungen darüber zu schreiben/
 
von wegen alle Türken sind Kanacken und so ne Scheiße/
 
junge, das hier is kein Fingerzeig noch so'n unbewusster
 
dummer spruch dann schlage ich dich windelweich/
 
 
danke nein, ich mein dein style is schon fresh/
 
du hast fame und cash, du bist einfach der chef/
 
und ein kleines bisschen bin ich sogar neidisch auf dich/
 
doch dann fällt mir wieder ein, du bist kein kommunist/
 
~ jedenfalls empfind ich ekel vor dir/
 
weil du den status quo unbewusst reproduzierst/
 
in deinen videos seh ich nur verdammte machos/
 
du hast bestimmt nen anti-kriegs-track, bestimmt heißt der "fuck bush"/
 
oh, wenn du hiphop bist, bin ich wohl doch was anderes/
 
du representest deine stadt, ich find meine so langweilig/
 
also bring dich um, homie, irgendwann muß schluß sein/
 
hakan, gib mir bitte noch einmal die hookline/
 
 
Danke nein, ich mein lass es bitte sein/
 
grab dich und deine Tracks in der Plattenkiste ein/
 
Danke nein, dein Scheiß ist nicht in meinem Toleranzbereich/
 
Hakan, koljah und tai phun sagen danke nein!
 
 
Mitten in der letzten Strophe hatte Kong aufgehört mitzuwippen und wirkte jetzt betreten. Panda sah ihn belustigt an und frotzelte: "Ist doch anders, wenn es um einen selber geht, wa?"
"Aber irgendwie", fing Kong an, "ist doch der Punkt irgendwie bloß, daß es alle machen, also daß alle gegen Bush sind. Das ist doch kein Argument irgendwie."
"Das ist auch kein Flugblatt", erwiderte Tascha. "Ich fand's erstaunlich nett, wie sie das gebracht haben. Soll ich den anderen Song auch noch anmachen?"
Kong zuckte die Schultern: "Mal eine Strophe oder so."
"Der heißt 'Trick me once' und ist offenbar auf den Kelis-Song draufgebaut worden, den mit dem knallorangenen Video."
Die bekannte Rhythmusspur setzte ein, nur etwas langsamer, wieder HipHop...
 
 
Und die Antiimp-Kiddies in meiner Straße lallen:
 
"Das Kapitalverhältnis aufheben? Da muß es erstmal runterfallen..."
 
Und ich sag: "Es ist schon unten, es ist der Boden,
 
auf dem ihr rumlauft, der euch festhält mit Gravitation."
 
Wenn sie überhaupt mal vom 'Aufheben' reden,
 
statt wie meistens einfach "Abschaffen!" zu blaffen,
 
womit sie meinen, die Hure Babylon zu ficken,
 
sie zu vergewaltigen und in die Hölle zu schicken.
 
Doch wenn ihr Babylon anzündet, hol ich die Feuerwehr,
 
denn apokalyptische Rauchsäulen gab's in der Geschichte schon mehr.
 
Und ich kauf' euch eure Ideale nicht mehr ab,
 
weil ihr sie viel zu oft und live vor meinen Augen verraten habt.
 
Und es sieht so aus, als wäre das gerade meine einzige Wahl
 
Ihr habt mich einmal verarscht, es gibt kein zweites Mal!
 
Might trick me once won't let you trick me twice
 
 
"Das ist ja lustig", befand Bob, "in welchen Weblogs haben sie denn abgestimmt? Das kenne ich ja gar nicht..."
"Ich hab das nicht ganz verstanden", sagte Panda, "Was sollte das mit Aufheben und Abschaffen?"
Bob grinste wieder: "Das läßt du dir am besten von Kong erklären."
Der winkte ab und begann ein weiteres Bauwerk: "Du willst mich ja bloß vorführen, weil du meinst irgendwie, alle Politik ist sinnlos, aller Widerstand ist falsch, bevor er nicht der heiligen Aufhebung dient. Irgendwie müssen wir alle Enthaltsamkeit üben, weil jede andere Revolution irgendwie heute nazimäßig wäre. Und damit hast du irgendwie 'ne prima Ausrede dafür, irgendwie nichts zu machen und ständig irgendwie rumzustänkern."
"Es wäre schon besser", sagte Bob, "wenn es besser wäre.  Das klingt immer so, als würde ich alles doof finden müssen. Aber es ist doch doof. Deutschland ist scheiße, die Krise hört nicht auf, die Leute werden immer stromlinienförmiger und langweiliger, keiner versteht mehr einen halbwegs komplexen Gedanken und die meisten verstehen nicht mal mehr ihre verdammte Textverarbeitungssoftware."
Panda wunderte sich: "Aber dann müßte man doch gerade was machen!"
 
"Das denke ich ja auch immer", sagte Bob, "und dann macht man auch ständig irgendwo mit und läßt sich zum Beispiel von den Gutmenschen gegen Naziaufmärsche benutzen und am Ende heißt es nur: Unsere Stadt ist so toll, hier gibt es keine Nazis. Wenn ich darüber abstinke, wie sehr sich politische Betätigung ständig selbst ins Knie schießt, dann meine ich durchaus mich selber."
"Du hast mein Mitgefühl", sagte Tascha ironisch.
"Und was heißt nun Aufheben", wollte Panda noch mal wissen.
Bob seufzte: "Es ist eigentlich ganz einfach. Den Kapitalismus abschaffen ist im wesentlichen das, was im 20. Jahrhundert immer wieder versucht wurde. Die Reichen wurden enteignet oder die vermeintlich Schuldigen an der Misere massenhaft umgebracht, danach wurde die Wirtschaft verstaatlicht oder in einzelnen Fällen auch wirklich vergesellschaftet - aber der Haken war immer, daß man eben etwas abgeschafft hatte, nicht überwunden. Man fiel jedes Mal hinter den Kapitalismus zurück. Der Einzelne galt weniger, Abweichung wurde härter bestraft, Recht war kaum einklagbar und der größte Vorzug am Kapitalismus, auch wenn Kong das anders sehen mag, nämlich der, daß er Unmengen von Werten akkumuliert, wurde ausgesetzt. Es wäre jetzt unglaublich schön, sagen zu können, wie es anders gehen soll, aber das weiß eigentlich keiner. Und so lange fühle ich mich ziemlich doof dabei, ständig 'Danke nein' sagen zu müssen und nur ganz selten mal irgendwas sinnvoll finde." Bob wirkte jetzt mißmutig und achtete überhaupt nicht mehr auf den immer noch gut sichtbaren Fleck auf seiner Hose.
 
"Vielleicht ist es auch einfach alles noch nicht so weit", sagte Panda aufmunternd.
Bob blickte ihn wenig aufgemuntert an: "Vielleicht haben wir die Gelegenheit ja auch schon verpaßt und fallen jetzt langsam wieder runter."
"Ich habe hier einen Text aus dem Telepolis-Forum über die Gesamtlage", meldete Tascha. "Der klingt eigentlich super optimistisch, da wird wohl wieder irgendwas nicht dran stimmen, aber hört mal:
 
Ich glaube nicht, daß die Mitarbeiter in den Medienindustrien den freien Kopierern so feindselig gegenüberstehen, wie sie es der öffentlichen Auseinandersetzung nach zu tun scheinen. Im Grunde sind die "Raubkopierer" (wie die meisten Hacker): gute Konsumenten. In den letzten Jahrzehnten wurde von Medienindustrie das Bild vom immer unmittelbareren Konsum aufgebaut, immer schneller, immer billiger.
Zumindest in der Werbung wurde bereits ein infitesimaler Aufwand für den Konsum verherrlicht. Die begeistertsten Jünger dieses Konzeptes, die besten Konsumenten sozusagen, kamen irgendwann zu dem naheliegenden Schluß, daß optimaler Konsum nichts mehr kostet und in no-time passiert. Das wurde von der realen Möglichkeit der P2P-Netzwerke befördert.
 
Das gleiche ist auf einer anderen Ebene in den letzten 100 Jahren schon mal passiert - nur daß dabei die Optimierung der Produktion (geringerer Aufwand, geringere Arbeitszeit) die Zielvorstellung war. Mit der Konsequenz der optimalen Produktion, die nahezu keinen Aufwand und geringfügigen Zeiteinsatz erfordert.
 
Die Reaktion der 'Industrie' auf diese Entwicklung war auch in diesem Fall keineswegs die (umsatzschädigende) Verringerung der nötigen Arbeitszeiten, außer in begrenztem Rahmen, um Aufständen vorzubeugen. So sehr sie aufgrund des Umsatzdrucks gezwungen war, Automatisierung (und heute die Verbreitung von Kopiervorrichtungen aller Klassen) zu forcieren, so sehr erzeugte sie damit "böse" Arbeiter und "böse" Konsumenten, die die entspannte Welt der Freizeit oder gar der Nicht-Arbeit hinter einem dünnen Schleier sehen konnten. Und können.
 
Eine weitere "Bedrohung" der Gegenwart, die nur für die 'Industrien' eine darstellt, sehe ich darin, daß durch bestimmte technische Entwicklungen die Grenze zwischen Konsum und Produktion zu verschwimmen beginnt. Drucker und Scanner in Privathaushalten haben zahlreiche Funktionen der gewerblichen Vervielfältigung, von Verlagen wie Beispielsweise von Fotogeschäften übernommen. Die Weiterentwicklung dieser Geräte in Richtung dreidimensionale Datenformate ermöglicht bald die private Herstellung von Gegenständen nach aus dem Netz gezogenen oder selbstentwickeltem Strickmuster.
 
Das hört sich danach an, daß bestimmte Sachen erst jetzt gehen, daß wir uns bisher eigentlich  gar nicht wundern dürfen, daß es noch nicht geklappt hat."
Panda: "Das klingt genehm in meinen Ohren. Wir sind an der Hauptkampflinie und bei den Guten, also den BösenTM."
Alle blickten zu Bob, der ganz überrascht davon die Hände hob und sagte: "Ich finde das auch okay. Die Begriffe sind etwas schief, aber es ist okay. Bloß", er nahm einen Schluck Mate, "das klingt trotzdem, als würden die Leute es zwangsläufig kapieren und das vergangene Jahrhundert sagt vor allem eins, nämlich, daß sich die Mehrzahl weiterhin mit Händen und Füßen dagegen wehrt, daß es anders wird."
Fast gleichzeitig stöhnte die Runde auf, Taschas vorwurfsvoller Blick sagte sowas wie: Dir kann man es aber auch gar nicht recht machen. Bob hob wieder Hände und sagte: "Das heißt auch nicht, daß es nicht klappen kann." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Ich will ja gar nicht immer nörgeln, aber naja."
"Es könnte also so sein", sagte Tascha vorsichtig, "daß die Leute sich auch dagegen wehren, daß sie in den tollen neuen Möglichkeiten wieder nur die böse Globalisierung - sorry, Kong - sehen, es könnte aber auch passieren, daß wir es einfach so weit treiben, daß sich die bessere Welt so deutlich abzeichnet, daß sie endlich einsehen."
 
Kong, der sich in den letzten Minuten hauptsächlich mit seiner Atmung und dem Formen von Rauchringen beschäftigt hatte, sagte: "Global ist doch irgendwie vor allem der Widerstand. Ich meine irgendwie, das, was wir am Anfang beim Wickel hatten irgendwie, daß sich ja gerade die Gegner der Globalisierung vernetzen und modernisieren - ist das nicht auch irgendwie ein Beitrag? Kannst du das vielleicht bloß nicht sehen, Bob, weil du irgendwie immer Civilization spielst, was letztlich einfach Schach ist, so wie immer irgendwie?"
"Willst du mich jetzt wieder zu Echtzeitstrategie bekehren?" fragte Bob zurück. "Dieses hektische Geklicke ohne Bedenkzeit, bei dem die Menschheitsgeschichte auf zehn technische Neuerungen reduziert wird? Ich weiß ja nicht."
"Immerhin", gab Panda zu bedenken, "ist das viel beweglicher und frischer als deine rundenbasierten Games. Man wird flexibler dabei, finde ich. Kennt ihr diesen Text über die gefährlichen Bücher?"
 
Isn't the extraordinary success of the "Harry Potter" novels better news for the culture than the equivalent success of "Grand Theft Auto III"? Steven Johnson's response is to imagine what cultural critics might have said had video games been invented hundreds of years ago, and only recently had something called the book been marketed aggressively to children:
Reading books chronically understimulates the senses. Unlike the longstanding tradition of gameplaying - which engages the child in a vivid, three-dimensional world filled with moving images and musical sound-scapes, navigated and controlled with complex muscular movements - books are simply a barren string of words on the page. . . .
Books are also tragically isolating. While games have for many years engaged the young in complex social relationships with their peers, building and exploring worlds together, books force the child to sequester him or herself in a quiet space, shut off from interaction with other children. . . .
 
But perhaps the most dangerous property of these books is the fact that they follow a fixed linear path. You can't control their narratives in any fashion - you simply sit back and have the story dictated to you. . . . This risks instilling a general passivity in our children, making them feel as though they're powerless to change their circumstances. Reading is not an active, participatory process; it's a submissive one.
He's joking, of course, but only in part. The point is that books and video games represent two very different kinds of learning. When you read a biology textbook, the content of what you read is what matters. Reading is a form of explicit learning. When you play a video game, the value is in how it makes you think. Video games are an example of collateral learning, which is no less important.
 
Bob blieb in seiner Verteidigungshaltung: "Ja, das ist lustig, aber wir sind ja hauptberuflich jung, wir werden immer dazu benutzt, die Leute noch weiter anzutreiben, sich noch weiter zu verbiegen. Aber wenn die Unternehmer jammern: Oh, die Arbeiter sind ja so unflexibel! - dann sagt keiner: Jetzt habt ihr sie verbogen, jetzt müßt ihr auch... Ich meine, es waren dann immer ältere Menschen, die einfach mal sowas wie die Waschmaschine erfunden haben, damit sich die Hausfrauen nicht mehr so abrackern mußten.  Ich halte flexible Leute nicht gleich für einen Gewinn. Die Hackerromantik, bei angeliefertem Fastfood vor den Bildschirmen die Nächte durchzumachen, ist in weniger als zwei Jahrzehnten Tausenden von Werktätigen als Dauerbelastung auf den Hals gekommen. Bob Black blieb 1981 eine einsame Stimme, als er meinte, daß wir den Versprechungen der Informatiker gegenüber skeptisch sein sollten, weil sie wie die Hunde arbeiten."
 
Im Forum des Online-Magazins Telepolis wird ein Artikel über Internetsucht zerrissen. "Schlecht erfunden, die brauchen wohl neue Patienten", heißt es. "Alles Quatsch - ich kann mit dem Netz gut umgehen", sagen viele andere. Ein einziger Beitrag weist daraufhin, daß es bei Sucht nicht um die geht, die mit etwas umgehen können, sondern um die, die das nicht schaffen. Eine Betroffene schüttelt virtuell die Hand.
Aus der großen Verbreitung von Netzanschlüssen erwächst gleich die nächste Verbindlichkeit. Viele Behördenformulare gibt es nur noch als pdf-Dateien, Banken bieten zahlreiche Dienstleistungen nur noch online an, Schülerfragen werden mit dem Verweis "irgendwo im Netz" abgespeist. Die gelangweilte Replik der Sachbearbeiter an die Zuspätkommer lautet: "Haben Sie denn unsere E-Mail nicht erhalten?"
 
Mr. Prosser sagte: "Sie hatten ja durchaus das Recht, zu geeigneter Zeit Vorschläge und Proteste zu äußern."- "Zu geeigneter Zeit?" schimpfte Arthur. "Zu geeigneter Zeit? Zum erstenmal habe ich was davon gehört, als gestern ein Arbeiter bei mir aufkreuzte. Ich fragte ihn, ob er zum Fensterputzen gekommen wäre, und er sagte, nein, er sei gekommen, um das Haus abzureißen. Natürlich hat er mir das nicht gleich gesagt. Nein, erst hat er ein paar Fenster geputzt und auch noch fünf Pfund dafür verlangt. Dann erst hat er's mir gesagt." -"Aber Mr. Dent, die Pläne lagen die letzten neun Monate im Planungsbüro aus." - "O ja. Als ich davon hörte, bin ich gestern nachmittag gleich rübergegangen, um sie mir anzusehen. Man hatte sich nicht gerade viel Mühe gemacht, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Ich meine, daß man's jemandem gesagt hätte oder so." - "Aber die Pläne lagen aus..." "Lagen aus? Ich mußte schließlich erst in den Keller runter..." "Da werden sie immer ausgehängt." "Mit einer Taschenlampe." "Tja, das Licht war wohl kaputt." "Die Treppe auch." "Aber die Bekanntmachung haben Sie doch gefunden, oder?" "Jaja", sagte Arthur, "ja, das habe ich. Ganz zuunterst in einem verschlossenen Aktenschrank in einem unbenutzten Klo, an dessen Tür stand: Vorsicht! Bissiger Leopard!"
Wenige besitzen die Souveränität eines Peter Lau, der sich das beliebte Hackerschimpfwort vom DAU, dem Dümmsten anzunehmenden User, auf die Brust heftet. "Die Technik muss sich mir anpassen, nicht ich mich der Technik", sagt der Kulturredakteur von brand eins lapidar.
 
Dresden-Neustadt. Der Besitzer des Zeitschriftenladens brütet über einem Katalog, bis es ihm entfährt: "Was hamen die alle mit den Navigationssystemen?! Wer brauchtn so'n Scheiß? Sind die alle zu blöd, 'ne Landkarte zu lesen?" (Wobei der Trick darin besteht, daß es in vielen Autos keine Karte, sondern nur einen Navigator gibt, mit dem der Fahrer nichts anfangen kann. Meistens gibt es jedoch weder noch und die Navigation erfolgt nach bereits bekannter Strecke oder der deutschesten aller Methoden: Fahren nach Ausschilderung.)
 
"Aber ihr fahrt euch schon wieder fest", konstatierte Tascha. "Das Entweder-oder sehe ich so gar nicht. Ich spiele Europa Universalis, das ist historischer als Civilization und es mischt Elemente von Echtzeitstrategie und eben eher schachartigen Spielen. Es gibt auch jenseits von Schach oder Go, um noch mal darauf zurückzukommen, noch sowas wie japanisches Schach, bei dem es zwar Figuren mit verschiedenen Fähigkeiten gibt, diese sich aber während des Spiels beträchtlich wandeln können. Deswegen jetzt die japanische Kriegführung im Zweiten Weltkrieg zum Modell für die Zukunft zu erklären, fände ich aber Quatsch. Will eigentlich außerdem nicht endlich mal jemand meine Tüte haben? Ich bin gerade wirklich nicht so drauf."
Panda, ganz unschuldig: "Eh' ich mich schlagen lasse... Aber auf jeden Fall geht es doch auch darum, daß wir als Hacker nach den Hintertürchen suchen und demonstrieren, daß jeglicher Plan nicht aufgeht. Daß die Nazis vielleicht härter zuschlagen können und disziplinierter sind, wie Katja Kipping von der PDS sagt, daß sie ihre Netzportale aber nicht gegen uns abgesichert kriegen. Daß aber andererseits auch der chinesische oder japanische oder welcher Plan auch immer nicht aufgeht."
 
"Das hängt aber davon ab", sagte Bob jetzt etwas weniger defensiv, "wie sehr wir selbst drauf reinfallen. Schon dieses 'Wir Hacker' ist doch Käse, damit tappst du doch schon in die erste Falle. Die meisten Hacker suchen doch immer nur nach den Haken bei den anderen. Man hackt eben die Firma, für die man gerade nicht arbeitet. Im Chaos-Jahresrückblick sind ganz zufällig die allermeisten Meldungen aus den USA und Israel. Wir kokettieren damit, daß wir Verschwörungstheorien besonders gut geblickt haben und trotzdem pushen wir sie wie sonst niemand. Warum saßen Bröckers und Wisnewski auf dem Chaos Camp und niemand widersprach ihnen? Weil es eben doch sowas wie Lieblingsfeinde gibt und die rein zufällig doch voll auf der Linie der sowieso beliebtesten Verschwörungstheorien liegen."
Panda widersprach: "Aber das sind doch Minderheiten-Standpunkte, die einfach mal ein Forum bekommen dürfen."
"Global gesehen nicht. Zu behaupten, daß an der amerikanischen Ostküste unter dem Einfluß der jüdischen Lobby finstere Machenschaften im Gange sind, denen wir alles Unglück auf der Welt zu verdanken haben, deckt sich mit der gegenwärtig vielleicht populärsten Ideologie überhaupt."
Tascha wurde nachdenklich: "Naja, das paßt schon zu dem, was ich mir gerade überlegt habe. Unsere liebe Kifferei leistet sicher ihren Beitrag dazu, daß wir auf sowas reinfallen. Ein bißchen Dope sorgt für neue Assoziationen und Überraschungen, aber viel davon die ganze Zeit macht schon paranoid genug, daß ich beginne, alles zu glauben, was nicht bei drei aufm Baum ist."
 
Panda fing an zu singen: "Ein Krümel ist genug, ein Krümel macht dich klug, jedoch ein fetter Brösel macht dich ganz schnell zum Esel."
Kong schüttelte den Kopf: "Die meisten Leute auf der Welt kiffen doch gar nicht und die haben irgendwie trotzdem den Eindruck, daß von den Amis zumindest die meisten ihrer Probleme ausgehen. Ich finde irgendwie, ihr macht euch das zu einfach, alle Gegner der globalen Wirtschaft für bescheuert oder für bekifft zu erklären."
"Davon hab ich gar nicht gesprochen", sagte Tascha. "Ich weiß nur, wie es bei mir ist. Es ist ja auch andersrum so, daß die völlig nüchternen Leute oder die, die meistens nur saufen, wiederum viel zu wenig assoziativ denken. Die sind dann kernig logisch und straight, können sich aber gar nichts mehr vorstellen, was ein bißchen abwegiger ist."
"Na, was ich nur immer wieder feststelle", sagte Panda, "ist, daß Internetforen so funktionieren. Entweder sturznüchtern und komplett mit Rauswurf bei der ersten schrägen Bemerkung oder aber eine Nuts-Competition, bei der man sofort angepflaumt wird, wenn man mal sagt: Hallo, könnt ihr das irgendwie belegen?"
 
"Foren sind eh ganz schön deutsch", sagte Bob, "deshalb lese ich da meistens nur mit. Die Ältesten bestimmen den Konsens, alle anderen laufen im Minenfeld herum und schießen um sich. Wenn man irgendwas fragt, wird man sofort in irgendeine Fraktion einsortiert. Das stimmt völlig, daß sich da ganz üble Welten aufgebaut haben, weil es überhaupt keinen Abgleich mehr mit der Wirklichkeit gibt. Dann schon lieber Bloggen. Da ist jeder nur eine Durchgangsstation und kann aber sein Ding machen. Das ist in Deutschland auch auffällig wenig verbreitet."
Tascha nickte: "Oh ja, da habe ich gerade erst in der c't gelesen, ausgerechnet der IT-Redakteur vom Focus - naja - meinte, daß in Frankreich jeder zweite Oberschüler ein Blog hat, und hier gibt es ganz wenige. Und er meinte, daß liegt an der mangelnden rhetorischen Kultur, an Technikfeindlichkeit und daran, daß es keine starken Zugpferde gibt, auf die sich alle beziehen."
"I couldn't agree more", sagte Bob fröhlich. "Und das vom Focus bescheinigt zu bekommen..."
"Was in Deutschland allerdings abgeht, ist Wikipedia. Da treibe ich mich auch gern rum, weil zwar jeder seinen Senf dazugeben kann und auch wirklich jeder Krümel aufgehoben wird, am Ende aber doch brauchbare Texte dastehen, gerade solches Zeug, daß ein einzelner Lexikonredakteur nicht angefaßt hätte, die ganzen Grenzwissenschaften oder überhaupt umstrittene Ideen."
 
Nachdem die ganze Zeit über die Playlist unbeachtet geblieben war und eher unaufregende Minimalelektronik vor sich hin geblubbert hatte, war jetzt - wer das gequeut hatte, war unklar - ein tiefer Testton zu hören, zügig überlagert von einem Breakbeat, von einem ziemlich schnellen Breakbeat, der wiederum von einer beachtlichen Dub-Bassline garniert wurde und der in Gestalt von einsetzendem Kopfnicken und Oberkörperwackeln im Raum einen kaum für möglich gehaltenen Bewegungsdrang erzeugte.
"Darauf scheinen wir uns dann aber doch immer einigen zu können", lachte Panda und stand auf. Er wippte zum Matematen und zog sich eine, Kong ließ sich vernehmen, daß es dennoch auch einen Haschkeks-Automaten geben müßte. Da Panda direkt neben Bob mit der Flasche stehenblieb und weiter im Rhythmus oszillierte, streckte dieser seine Arme aus und versuchte sich etwas auszurenken: "Kann trotzdem jemand den Track überspringen - der Herr Bong-Ra muß seinem Bekunden nach grad wieder Babylon anzünden und so."
 
"Du hast ja Recht", bestätigte Tascha, sprang zum nächsten File, erhob sich und stellte sich ans offene Fenster. Ein bißchen weniger Nebel und sie schienen alle organisch zu werden, dachte sie, was sind wir für ein Haufen. Als Bob offenbar nach positiver Prüfung des Inhalts - LFO Demon, derselbe Style, weniger Tote - auch noch aufstand, war Tascha verblüfft, weil unleugbar - getanzt wurde. Sie tanzte ja selbst. Was für eine plumpe versöhnliche Pointe, dachte sie, am Ende hopsen wir alle herum, als wäre nichts, weil die Mucke so viel davon ist. Auch wenn Kong sich eher gemächlich dem Baß hingab, schien es zusammen mit dem Geblinke vom Hinterhof eine schöne Partyutopie zu werden.  Die Grüne Jugend und die Israelsolidarität, deren Umweltbewußtsein nicht weiter ging, als hauptsächlich Ben&Jerry's-Eis zu essen; die Mitfahrzentrale und der Tramper; das Netzwerk und die Baumstruktur. Als schlösse sich das alles aus - ach, ich werde sentimental.
 
Jetzt bemerkte sie den Fleck auf Bobs Hose und wunderte sich, ob die Körperlichkeit sich gleich so massiv geäußert hatte oder ob er es nur nicht geschafft hatte, sein Modegetränk überwiegend in den Mund zu schütten. Ich sollte da nicht so hinsehen, ermahnte sie sich, das macht ihn nur wieder verlegen. Obwohl es ein charmanter Kontrast zu seinem Rechthaben-Film ist - am besten immer im Wechsel: Rechthaben - Verlegensein - Rechthaben - Verlegensein. Oh, auch dieser Gedanke war dem Rhythmus anheimgefallen. Es war ein neuer Rhythmus, der vom nächsten Track, der ganz deutlich noch überdrehter war und dementsprechend prima paßte. Irgendwie war es Ragga, aber dafür war es zu Punk, vor allem, weil sie ständig grölten: "One Love - one heap of shit! Sugarcoat on your hatred!" Dazwischen Kölscher Dialekt - ein Beitrag mehr zum Niemandsland zwischen cannabinoidem Kognitionskrawall gegen die drei - oder oft eher zweidimensionale, schlecht gerenderte Außenwelt und koffein- und gewürzgestützter Hebung des Serotoninspiegels gegen den Mangel an Tageslicht und richtigem Schlaf. Ob sich nun das in besser ausgewogener Intoxikation das Dilemma lösen könnte, daß Dope ganz sicher die besseren Träume verursachte, sie aber immer vergessen ließ? Ob Breakcore den Widerspruch von musikalischem Gehalt, Samplen und wackelnden Hintern in Gestalt eines die Widersprüche ohne Konsensgeseier integrierenden Diskurses lösen könnte? Ob es gelingen konnte, die Dialektik aus Dope und Mate, aus assoziativem Verschwörungsdenken und analytischer Algorithmierung, aus körperlicher Entspannung und Aufregung, aus Ambient und Gabber ins DJ-Tamagotchi zu übertragen? Ob aus dem einen vermeintlichen Fleck viele richtige werden würden? Ob vielleicht wirklich mal jemand das Kapitalverhältnis aufheben würde, das schon so lange herumlag, damit wir endlich bei Star Trek nicht nur zuschauen? Ob es dann auch endlich Gerechtigkeit für Lisa Simpson geben würde?
 
Ich weiß es nicht. Ich kann nicht mehr sagen als: That's - all - folks!
 
== Links ==
 
* [http://myblog.de/classless/art/1383126 Originaltext] von [[Benutzer:Classless|Daniel Kulla]]
 
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[[Kategorie:Vorträge]]
[[Kategorie:GPN4]]

Aktuelle Version vom 11. Oktober 2005, 22:05 Uhr

Vortrag/Lesung von Daniel Kulla auf der GPN4.

Inhalt

Daniel Kulla stellte seinen Text "Germany might trick me once" vor.

Germany might trick me once.

Zur Dialektik von Dope und Mate.

Von Daniel Kulla

"We get high on all types of drugs when all you really need is love to get by, just to get by", rappt Talib Kweli. Ist die Fremdsteuerung des Körpers einmal etabliert, ermöglichen Drogen doppelseitige chemische Kompensation - zum einen für den realen Verlust an Lebendigkeit durch Arbeit und Konsum; zum andern dafür, den Idealen der Verwertbarkeit nicht zu entsprechen, ihnen letztlich nicht entsprechen zu können. England 1830: "Die Zunahme des Teetrinkens war zum Teil ein Ersatz für Bier, vielleicht auch für Milch. Die Zeitgenossen - allen voran Cobbett - sahen darin einen erneuten Beweis für die Verschlechterung ihrer Lage. Tee wurde als ärmlicher Ersatz und - zusammen mit dem zunehmenden Spirituosenkonsum - als Hinweis auf ein Bedürfnis nach Aufputschmitteln betrachtet, verursacht durch überlange Arbeitszeit und ungenügende Ernährung."

Der aktuelle Zustand der unübersichtlichen Drogengesetzgebung wird für das selbständige Individuum noch durch die Abwesenheit eines gesicherten Erkenntnisstands über Set und Setting, Wirkungsweise und Rahmenbedingungen ergänzt. Das Risiko liegt beim Konsumenten, obwohl er es nicht kontrollieren kann. Die Informationspflicht liegt gleichermaßen bei ihm, obwohl Forschung und ihre Darstellung zur Hälfte illegal, zur Hälfte im Sinne der Hersteller verfremdet vorliegen.

Mit dem Rauch waren die Überraschungen gekommen, im sich verdichtenden Nebel der Hackerrunde verschwanden sie wieder. Die eiligst - also in weniger als einer halben Stunde aus dem mehrere Meter entfernten Automaten - herbeigeholte Flasche Mate brachte sie dann nur teilweise zurück: die Überraschungen. Was für Überraschungen eigentlich? - Ach ja. Kong hatte von einem Buch herumgeschwärmt, von dem wiederum seine politischen Kumpels ihm vorgeschwärmt hatten, das aber niemand bisher wirklich gelesen hatte, weil es kein pdf davon gab. Jetzt wollte Bob, der mit der Mate in der Hand vor seinem Notebook wieder Platz nahm, danach suchen."Wie hieß das Teil noch mal?" fragte er. "The Protracted Game", antwortete Kong. "Untertitel: A Wei Chi Interpretation of Maoist Revolutionary Strategy. Ist von einem Scott Boorman. Ist auch schon etwas älter irgendwie, aus den Sechzigern oder so." "Scheiße, ich hab kein Netz", sagte Bob tonlos. Und rief laut in die Runde: "Hat sich der Server wieder verabschiedet?"

Aus dem Nachbarraum kam prompt die Auskunft: "Ich bin schon dran! Kann aber noch ein bißchen dauern." "Na gut, dann muß uns Kong erzählen, was genau in dem Buch steht." "Oh je, Offline-Debatte", witzelte Panda und verdrehte die Augen. "Muß ich? Naja", sagte er verlegen, während er in die Seitentasche seines Kapuzenpullis griff, "erstmal einen bauen." Synchron zu Kongs Bewegungen packten auch die anderen so abrupt Entnetzten am Tisch flache, runde Döschen, Plastetütchen und Feuerzeuge aus. Ohne Eile wurde gefaltet und geleckt. Nur Bob suchte nach einer Funkverbindung - was noch nie geklappt hatte. Er war im Grunde froh, durch seinen kurzen Ausflug zum Klo und zum Getränkespender wieder etwas nüchterner geworden zu sein und sagte: "Ich will ja nicht spießig klingen, aber wenn ich in breitem Zustand auch noch so viele Hintertürchen und Umgehungen entdecke, durchgegangen bin ich eigentlich immer erst, wenn ich kurzzeitig mal klargesehen habe." Die ausbleibende Reaktion, das anhaltende Rascheln und Knipsen überspielte er mit: "Wir hatten es aber gerade von dem Maoisten-Schinken. Was ist nun der Punkt?"

Kong stützte seine Hände auf die Oberschenkel und blickte aus dem Fenster in den dunklen Hinterhof. "Irgendwie", fing er an, "geht es darum, daß Maos Volksbefreiungsarmee irgendwie mehr Go gespielt hat und die Kuomintang mehr Schach. Also, daß irgendwie die Strategie, die sie irgendwie gefahren sind, also", er leckte an seiner Bastelarbeit, "daß es bei der Kuomintang eher westlich abging, daß sie nur eins zu eins gekämpft haben irgendwie und ein definiertes Gebiet besetzen wollten und kontrollieren irgendwie, daß aber Mao ganz anders an die Sache heranging. Also, Go heißt auf chinesisch Wei Chi, und da gibt es sowas wie Hinterhalt und Umkreisungen, und das ist irgendwie nicht so statisch als Konzept." "Das heißt sozusagen, daß Guerillakrieg dem westlichen Denken widerspricht?" wollte Bob wissen. "Naja", Kong angelte sich einen Ascher von der Mitte des Tisches, "für Mao waren die einzelnen Steine irgendwie nicht so festgelegt. Bei Go sehen die Steine ja alle irgendwie gleich aus und haben ihre Bedeutung nur nach der Stelle, an der sie liegen. Irgendwie." Vom Ende des Tisches mischte sich Tascha ein: "Aber es geht doch schon um reale Leute, oder? Die sind doch eher nicht identisch?" Sie runzelte die Stirn. "Für Mao vielleicht schon", sagte Bob und lachte kurz. "Oh Mann, ja", machte Kong, "aber darum geht's doch gar nicht. Die Volksbefreiungsarmee hat irgendwie viel netzwerkmäßiger gekämpft, die einzelnen Teile wurden gleichberechtigt betrachtet und nur irgendwie nach ihrer aktuellen Funktion eingesetzt. Irgendwie."

Panda atmete seinen ersten Beitrag zur Nebelverdichtung aus und dachte laut nach: "Vielleicht war deshalb für Mao der Imperialismus ein Papiertiger, weil er nur nach klassischer Strategie so mächtig wirkte, aber letztlich doch ausgetrickst werden konnte, wenn man einer anderen Logik folgte." "Genau", setzte Kong triumphierend fort, "das ist eben wie heute im Nahen Osten irgendwie, wo sie auch eine andere Logik anwenden." Bob versuchte, ihm mit einem Blick den Mund zuzunähen. "Jetzt geht das wieder los", stöhnte er auf. "Was für eine Logik denn?" "Na, sie führen die Amis an der Nase herum, indem sie ihnen zeigen, daß es nichts bringt irgendwie, das Land besetzt zu haben, wenn immer noch überall Bomben hochgehen." "Das muß man aber erst mal für eine gute Sache halten", wandte Tascha ein, die ihren kleinen Tribut an die marokkanische Landwirtschaft noch nicht zu gerollt hatte. "Wenn sie's anders nicht kapieren", erwiderte Kong patzig. Bob schwieg. Er schien zu hoffen, daß sich das Thema von allein wieder erledigen würde, daß es sich wie meistens einfach in Luft bzw. Rauch auflösen würde. Seinen Spitznamen hatte er zwar ursprünglich wegen seiner Begeisterung für eine psychoaktiven Gabber-Track erhalten, in dem es ständig "I got a Bob in here, I got a bob-bob-bob-bob" ging. Vor ein paar Monaten jedoch hatte er das Kürzel selbst auf den Song "B.O.B." von Outkast bezogen - "Bombs over Bagdad" - und das war kein Statement gegen den Krieg, weil er seine Mails gelegentlich auch mit "Bombs on Berlin" unterschrieb. Auch wenn er es haßte, von den Antiimperialisten in die Schublade mit dem Aufkleber ~Bantideutsch~R gesteckt zu werden, gehörte er dort noch am ehesten hinein. Das Problem bestand darin, daß er als Insasse dieser Schublade im Grunde für fast alle anderen Menschen als verrückt galt, daß er aus dieser Schublade heraus nicht wirklich diskutieren konnte, weil seine Äußerungen gar nicht beurteilt, sondern nur als unterschiedlich absurd eingestuft wurden. Sein Verweis auf die Zeitschrift Bahamas, die er noch am wenigsten irre fand, wurde wahlweise mit dem Dooffinden ihrer Überschriften oder dem Statement "Das ist alles zu schlau" beantwortet.

Das Thema verschwand leider nicht so einfach, vielleicht, weil Tascha in der Zwischenzeit das Fenster geöffnet hatte. Kong beharrte: "Das zeigt doch, daß der Imperialismus irgendwie gar nicht so auf dem letzten Stand der Technik ist, wie er behauptet. Ich finde auf jeden Fall, daß die Guerilla-Taktik viel moderner irgendwie ist, auch viel eher eben hackerstyle, als die Amis mit ihrer hochgezüchteten Technik irgendwie, die dann doch nicht funktioniert." Er klang jetzt etwas maulig, weil er das Gefühl hatte, daß ihn keiner richtig ernstnahm. Seinen Spitznamen hatte er sich zum ersten Mal in einem Spieleforum gegeben, in dem ständig seine selbstgebastelten Szenarien über die Oktoberrevolution, den Spanischen Bürgerkrieg und eben den Vietnamkrieg als ideologisch bekrittelt worden waren - von den gleichen Leuten, die völlig ideologiefrei deutsche Panzer über die virtuell nachgestalten Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges steuerten. Auch wenn er es haßte, von den Antideutschen in die Schublade mit dem Aufkleber 'antiimp' gesteckt zu werden, vor allem weil er sich selbst eher ins ökologische oder vielleicht auch so globalisierungskritische Spektrum rechnete, sah er doch nicht ein, was daran schlimm sein sollte, den konkreten heutigen Imperialismus anzugreifen. Das Problem bestand darin, daß in dieser Schublade lauter Leute herumsaßen, mit denen er ums Verrecken nichts zu tun haben wollte. So oft er die Unterschiede zu den 'rechten' Antiimperialisten auch betonte, verwendeten die Antideutschen seine unfreiwilligen Kollegen dennoch gegen ihn. In den Texten, die er in Online-Diskussionen zitierte, fanden sie immer einen kleinen Haken, irgendwas Nebensächliches, was sie für antisemitisch oder antiamerikanisch hielten - oder sie erklärten ganze Gedankengänge für "zu blöd".

Jetzt hatte er aber den Eindruck, daß sich gerade Bob der Diskussion entzog - und zwar hauptsächlich, weil das besprochene Buch offensichtlich nicht in sein Bild paßte. Kong wollte es ihm aber nicht so einfach machen und fragte ihn direkt: "Sehen für dich die Amis nicht irgendwie aus wie Dinosaurier? Ist das dezentrale Vernetzen von Volkswiderstand nicht viel moderner, als irgendwie old school ungebeten mit der Army irgendwo einzumarschieren?"

Bob drehte den Deckel seiner Mateflasche hin und her, grübelnd, ob und wie er antworten sollte. Obwohl nüchterner als noch vor einer halben Stunde, fiel es ihm schwer sich zu konzentrieren, weil er ständig von dem Gefühl befallen wurde, daß die Flasche in seiner Hand vibrieren würde. Er war sich auch unsicher, ob er vielleicht unbewußt mit der Flasche herumwackelte - und ob das jemand mitbekam und bloß nicht sagte. Ob Tascha es mitbekommen und deshalb das Fenster aufgemacht hatte? Ob sie ihn für einen manischen Wichser hielt? Ob er vielleicht aus Versehen einen Spritzer Mate auf die Hose bekommen hatte? Er kontrollierte sich, indem er ruckartig den Kopf senkte und die Mate beiseite nahm, wobei der lockere Deckel von der Flasche rutschte - und auf der bis eben völlig sauberen Hose nun ein Fleck prangte. Das machte Bobs Position etwas unvorteilhafter. Dachte er, weil sie alle wegsahen, um ihn zu demütigen. Er versuchte, sich etwas Originelles einfallen zu lassen, um von dem Problemkreis Vibration und Sperma abzulenken und so die Souveränität zurückzugewinnen. Er sagte: "Die US Army ist auch ungebeten in Deutschland eingedrungen und äh" - oh je, oh je - "hat hier bis heute völlig ungebeten Spuren hinterlassen." In das allgemein einsetzende Gegacker rief er: "Ja, sie haben den deutschen Volkskörper befleckt - mit Swing und Kaugummi und später auch mit eurem geliebten Dope!"

"Na, na, na", intervenierte Kong, der gerade einen besonders tiefen Zug genommen hatte und jetzt husten mußte, "dieses Zeug haben wir ganz bestimmt nicht von den Amis. Hast du Ströbele auf der letzten Hanfparade gehört? Er sagte, daß hier bei uns viele aus den alten Märchen Hanfseile und Hanfkittel kennen, die USA es trotzdem hingekriegt haben, Hanf auch in Europa zu Teufelszeug zu erklären." "Naja", meinte Tascha, "hast du schon mal drüber nachgedacht, warum es hierzulande in Heidelberg mit dem Dope richtig losging? Das waren schon die GIs aus dem amerikanischen Hauptquartier..."

Bob grinste: "Gerade in diesem Augenblick sympathisiere ich vielleicht sogar mit Johann Calvin, der alle ausnüchtern wollte, damit sie aus ihrer gemeinschaftlichen Rauschseligkeit aufwachen und erstmal mitkriegen, was überhaupt los ist." Er versuchte in mehreren Anläufen, die Beine so zu verschränken, daß der Fleck verdeckt wurde, was ihm nicht wirklich gelang, und fuhr währenddessen fort: "Ich meine, eigentlich kiffen in Deutschland doch alle so wie sie saufen. Hauptsache viel, Hauptsache, möglichst breit sein, am besten so tun, als wäre gar nichts. 'Bist du etwa schon breit?! Ich noch gar nicht. Laß uns eimern!' Daß das Zeug auch anregend sein kann, merkt doch gar keiner mehr." "Oh", sagte Panda, "ich habe letztens einen Kanadier Tüten bauen sehen, die nur aus Gras bestanden, Mann - da waren auch alle Lichter aus..." Kong hatte innegehalten und nachdenklich sein Rauchwerk in den Ascher gehängt. "Aber das ist doch auch eine Fluchtstrategie irgendwie. Kiffen ist beim heutigen Leistungsdruck einfach irgendwie eine Möglichkeit, sich zu verweigern. Auch wenn ich meine Pflicht erfüllen will und diesen Drang partout irgendwie nicht wegkriege - bekifft bin ich einfach nicht mehr verwertbar."

"Ist das wirklich so?" fragte Tascha, deren Baustelle weiterhin unvollendet vor ihr lag. "Bemühen sich nicht gerade die Hanfparade-Leute immer um den Nachweis, daß Kiffer trotzdem nützliche Mitglieder der Gesellschaft sind?" Sie betrachtete ihre Zusammenstellung grün-brauner Fäden und Klümpchen und hörte sich sagen: "Will den vielleicht wer anders anmachen?" Panda sah sie verwundert an: "Irgendwie sind alle schon versorgt. Außer unser Ober-Calvinist da drüben..." Dilemma, dachte Bob, ich kann doch jetzt nicht so stur sein und Taschas Tüte zurückweisen. Andererseits sind wir sonst zusammen nüchtern. Beziehungsweise nicht ganz so zugeknallt wie der Rest vom Fest. Oder eben anders zugeknallt, nur angeknallt. Noch mal langsam: Wenn sie jetzt nichts raucht, wird es ihr so gehen wie mir gerade. Dann ist es vielleicht gar nicht dumm, etwas von ihr in den Mund zu nehmen. Und es könnte auch nicht dumm sein, selbst wieder ein bißchen bekiffter zu werden. Oder lieber noch nüchterner? Fühle ich mich beobachteter oder entspannter? Will ich mehr mitkriegen oder weniger? Und was?

"Ne-hetz!" rief Panda und unterbrach damit die amoklaufenden Gedanken. Sofort klapperten die Tastaturen und die Augen waren wieder fest auf die Bildschirme gerichtet. Auch Tascha wandte sich von ihrem halbfertigen Stick ab und suchte im Netz nach Beiträgen für die laufende Diskussion. Ihr waren die beinahe rituell gewordenen Schlagabtausch-Szenarien zwischen Bob und Kong, manchmal auch zwischen anderen anderswo, meist viel zu abgehoben und widerspruchsfrei, weshalb sie am liebsten Material aufspürte, das quer zum Streitthema lag oder die wirren Behauptungen falsifizierte. Wobei sie einräumen mußte, daß es schon eher Bob war, der sich wenigstens die Mühe machte, auf ihre Einwände einzugehen und der es nicht einfach wie die anderen vorzog, auf einen anderen Punkt auszuweichen. Aber auch Bob hatte nie ihren eigenen Nick verwendet - Ada, nach der genialen Ada Lovelace -, weil er ihn wohl mehr noch als alle anderen mit Pornostar Linda Lovelace verwechseln mußte oder wollte. Auf Ada hingewiesen, wurde von den Jungs immer mit prompter Verachtung für die gleichnamigen Girls' Day-Projekte (Slogan: "Was ich will, das kann ich!") reagiert. Unbekümmert verwendeten sie also die Kurzform ihres Vornamens in Anlehnung an Tasha Yar aus der Next Generation bei Star Trek, weil für sie eine schlaue Frau immer gleich die Kampflesbe sein mußte, die den heiligen Picard zu rabiaterem Vorgehen anstachelt, um ihn dann als genialen Diplomaten erscheinen zu lassen.

Als Ada Lovelace - achtzehnjährig - 1833 in die Londoner Gesellschaft eingeführt wird, bleibt Mary Somerville für die folgenden Jahre ihre bevorzugte Anstandsdame, denn sie verschafft Ada den begehrten Zugang zu den wissenschaftlichen Zirkeln und den "scientific people" von London. Der Mathematiker und Projektemacher Charles Babbage ist eine der Hauptfiguren dieser "Szene". Ada lernt ihn 1833 auf einer Party kennen. Auf einer seiner Abendgesellschaften nimmt sie Teil an der Vorführung eines Demonstrationsmodells der "Difference Engine". Babbage, dem manche eine chronische Unfähigkeit zur Dokumentation seiner Arbeiten nachsagen, ermuntert dann 1840 Ada, die sich intensiv mit der neuen Analytical Engine befaßt hatte, selbst etwas zu schreiben. Ihr mathematischer Durchblick ging dabei so weit, daß sie Ungereimtheiten in Babbages Ablaufschema zur Errechnung Bernoullischer Zahlen entdeckte - es war dies das erste verbürgte Debugging der Geschichte! Charles Babbage lobte die kluge junge Dame, die offenbar besser als die Kollegen die Bedeutung der "analytical" engine begriff. Das für damalige Vorstellungen recht ungleiche Wissenschaftler-Paar arbeitete von nun an eng zusammen, wenn es darum ging, die Grundlagen der Systemprogrammierung transparent zu machen. Auf einigen Gebieten der Umsetzung von Formeln in Funktionsschritte - heute würde man "Coden" sagen -, stellte Ada Gräfin Lovelace ihren Lehrmeister in den Schatten seiner eigenen Maschine. Sie reflektierte auch über das Problem der bedingten Verzweigung und erläuterte die Prozedur. Sie erfand das Zählregister für iterative Abläufe, konzipierte ein binär-arithmetisches Rechenverfahren und erträumte sich programmiertechnische Kniffe, die vor dem Siegeszug der modernen EDV eigentlich kaum denkmöglich gewesen sein konnten. Um das Genie der Engländerin gebührend zu beurteilen, muß man sich vergegenwärtigen, daß das Ursprungsmodell des 1944 konstruierten Automatic Sequence Controlled Calculator in seinem Befehlssatz noch keinen Sprungbefehl enthielt; der wurde erst später hinzugefügt, obwohl die Methode bereits seit hundert Jahren in Lady Lovelace' nachgelassenen Schriften stand. Ada Augusta Countess of Lovelace kam posthum zu Ehren, als ihr die computerbefaßte Fachwelt 1979 ein symbolisches Denkmal setzte: Die "Green Language", so der bis dahin gängige Arbeitstitel, wurde in "ADA" umbenannt. Es handelt sich um eine "high order language" für Real-Time-Programmierung, die das amerikanische Verteidigungsministerium in Auftrag gab, in dem nun bei jedem Befehl ein kleiner Anerkennungsimpuls mitschwingt, ein Erinnerungsbit an die wenig bekannte Tatsache, daß der erste Programmierer der Welt eine Frau war!

Das erste, was die lieber Ada genannte Tascha jetzt im Netz fand, waren Angaben über die beiden politischen Lager, denen sich Bob und Kong angeblich nicht zurechnen lassen wollten. Sie las vor: "Nach Verfassungsschutz-Angaben gibt es 50 Antiimperialisten in Berlin, doppelt so viele im Bundesgebiet; 1000 Autonome in Berlin, doppelt so viele bundesweit, von denen etwa die Hälfte sich als antideutsch bezeichnet oder so zugeordnet wird. Sie sagen im Bericht von 2004 lapidar, daß erstmals Linksextremisten gegen Linksextremisten demonstriert haben. Nach Angaben der Zeitschrift Bahamas sind 90% der Deutschen Antiimperialisten, allen voran Franz Müntefering und Horst Mahler. Nach Auffassung des kommunistischen Apokalyptikers Robert Kurz aus Nürnberg ist die Hälfte der linksradikalen Szene - das sind dann mehr als 10000 Personen - wegen der antideutschen Übernahme vormals linientreuer Zeitschriften ins antideutsche Lager verführt worden." Bob fuhr gleich dazwischen, als wäre aller Nebel aufgelöst: "Nach meiner Auffassung waren die meisten Deutschen in den letzten 500 Jahren Antiimperialisten, angeführt von Thomas Müntzer, Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Engels."

Panda: "Thomas Müntzer?" "Ja, Thomas Müntzer. Das Imperium waren natürlich die katholischen Habsburger, die die Welt beherrschen und besitzen wollten, Rettung war nur durch radikale Gleichmacherei und Rückbesinnung auf Scholle und Kreuz möglich. Die Hure Babylon jedoch, die im päpstlichen Avignon saß, sollte vernichtet werden, wie es Johannes von Patmos vorausgesagt hatte. Und den Blödsinn quatschen immer noch die ganzen Befreiungstheologen und Rastafarians nach." "Ach komm", wehrte Panda ab, "du willst mir jetzt erzählen, der beknackte Kleinkrieg, den ihr führt, ist der Kampf zwischen Gut und Böse seit dem Ende des Mittelalters. Nehmt ihr euch nicht ein bißchen wichtig?" Bob stoppte seine Tirade und nestelte wieder an der Mateflasche herum. Er schaute in eine Ecke des Raumes und schien auch ohne Worte zu sagen, daß ihn wieder mal niemand verstand. Er dachte daran, daß die Ereignisse der 1520er Jahre bis heute in ihrer Interessenlage unscharf geblieben sind, hat nicht zuletzt damit zu tun, daß der sich artikulierende Unmut nicht hauptsächlich auf eine Verbesserung der Lebensumstände ausgerichtet war, sondern bereits erschreckend deutsch nach einer Nivellierung des sozialen Niveaus und dezidiertem Rückschritt gerufen wurde. Die erhaltenen Forderungskataloge der aufständischen Bauern verlangen nicht etwa, die Gewinne der Handelsgesellschaften auszuschütten, sondern die Zerschlagung der Fugger, die im Ablaßhandel mit dem "christlichen Gewissen Schacher" getrieben hätten. Auch der Slogan "Stadtluft macht frei" erfreute sich geringer Popularität, die Städte ~V Metropolen wie Leipzig oder Zwickau zählten gerade 7000 Einwohner - sollten zurückgebaut und die Menschen wieder im Ländlichen angesiedelt werden, nicht nur wegen der immer wieder angeführten Gesundheit, sondern tatsächlich, um sich nicht weiter an der "Natur" zu vergehen. Schließlich wurde analog zum Arbeiterkult späterer Jahrhunderte das "Beackern der Scholle" verherrlicht und für unterschiedslos alle zur gemeinschaftlichen Pflicht erhoben, das Ganze unter der Knute einer nicht bürgerlich privatisierten Religion, sondern des vergemeinschafteten Christentums. Diese angestrebten Zustände wurden vorwiegend mit den Begriffen "himmlischer Frieden" und "christliche Liebe" bezeichnet.

"Geist gegen Buchstaben", sagte Bob kurz, "das war der Slogan von Müntzer. Also konnte er als Prophet alles so auslegen, wie es ihm paßte." Er hatte eine Seite mit Müntzer-Quotes gefunden und trug sie vor: "Zum Beispiel: 'Die Gottlosen haben kein Recht zu leben' oder: 'Man muß Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte. Dann wird der schöne rote Weizen beständige Wurzeln gewinnen und recht aufgehen. Die Engel aber, die ihre Sichel dazu schärfen, sind die ernsten Knechte Gottes, die den Eifer göttlicher Weisheit vollführen.' Kurz vor seinem Tod, schon nach der Gefangennahme und Folterung, wirft Müntzer dem 'Volk' noch vor, daß es ihn 'nicht recht verstanden' habe, sondern 'allein nach Eigennutz getrachtet, der zu Untergang der göttlichen Wahrheit führt.'" Eine Weile war es ruhig, nur die Tasten waren zu hören, es wurde nachgeladen. "Hört mal", sagte Tascha, "ich habe die beiden populärsten Songs der antideutschen Weblogs am Start. Vielleicht entspannt das ja die Lage. Der erste ist von Hakan, Koljah und Taiphun und heißt 'Danke nein'." Nach einem lustigen folkloristischen Geklingel setzte ein recht dicker Midtempobeat ein, der sogleich berappt wurde:


Danke nein, ich mein dein Style ist schon fresh/

und die Rhymes sind echt nett doch du peilst - scheinbar irgendwie gar nichts

und erzählst irgendn Mist, den ich nich supporte

tut mir leid ich hab kein Bock auf son Dreck/

ich weiß - keiner ist perfekt, sei es in der Technik/

oder in den Flows aber wichtig ist die Message/

und - genau da ist das Problem, ich bin nicht 50 Cent/

weil ich nich in Clubs geh und Frauen auch nicht Bitches nenn/

tut mir leid, - ich will der Jugend was sagen/

ich will keine MC's die dauernd Schwule verarschen/

keine Rapper, die hier dauernd Judenwitze bringen/

ich brauch auch keine Westen die kugelsicher sind/


danke nein, ich mein dein style is schon fresh/

und wenn ich ehrlich bin, ich hör manchmal heimlich die tracks/

denn es is tight, wie du rappst - doch das is leider schon alles/

ich schau mich um und merk, du bist so scheiße wie alle/

du machst das gleiche wie alle - homophobe phrasen dreschen/

für die verharmlosung von auschwitz sollte man dir die nase brechen/

ich muss kotzen, wenn ich höre, wie du typ von frauen sprichst/

ich kotz auf all deine sachen, während du noch beim sound-check bist/

~ ich glaube nicht - dass die leute meine texte mögen/

doch ich scheiße auf die leute, weil sie DEINE texte mögen/

ich bin anti reaktion, also anti deutschrap/

ich bin anti alles, homie, check was das bedeutet


Jetzt wurden eine Reihe von Samples abgefahren, die im Sinne des Textes der Distinktion dienten. "Bis hierhin hab ich gar nichts dagegen", sagte Kong. "Eigentlich ist das jetzt nicht so besonders antideutsch, finde ich. Es ist einfach irgendwie nicht so blöd wie das meiste andere." Panda nickte: "Der Diss ist zur Abwechslung mal nachvollziehbar, nicht einfach bloß sinnloses Rumgebattle. Oh, jetzt kommt die nächste Strophe..."


danke nein, ich mein dein - style ist schon fresh/

und zur Zeit bist du wohl die Nummer - eins im Geschäft/

mit den - heißesten Chicks - ready for the Lapdance/

und laberst in den Texten was von Battlen mit ner Mack 10/

aber sorry man, mir geht es nicht um~Rn Schmuckstein/

ich rede von meinem Leben pack die Seele in die Hookline/

und ich scheiß auf dich und deinen harten Lebensstil/

du willst immer Krieg bis du dann die Tagesthemen siehst/

--- dann fühlst du dich gezwungen darüber zu schreiben/

von wegen alle Türken sind Kanacken und so ne Scheiße/

junge, das hier is kein Fingerzeig noch so'n unbewusster

dummer spruch dann schlage ich dich windelweich/


danke nein, ich mein dein style is schon fresh/

du hast fame und cash, du bist einfach der chef/

und ein kleines bisschen bin ich sogar neidisch auf dich/

doch dann fällt mir wieder ein, du bist kein kommunist/

~ jedenfalls empfind ich ekel vor dir/

weil du den status quo unbewusst reproduzierst/

in deinen videos seh ich nur verdammte machos/

du hast bestimmt nen anti-kriegs-track, bestimmt heißt der "fuck bush"/

oh, wenn du hiphop bist, bin ich wohl doch was anderes/

du representest deine stadt, ich find meine so langweilig/

also bring dich um, homie, irgendwann muß schluß sein/

hakan, gib mir bitte noch einmal die hookline/


Danke nein, ich mein lass es bitte sein/

grab dich und deine Tracks in der Plattenkiste ein/

Danke nein, dein Scheiß ist nicht in meinem Toleranzbereich/

Hakan, koljah und tai phun sagen danke nein!


Mitten in der letzten Strophe hatte Kong aufgehört mitzuwippen und wirkte jetzt betreten. Panda sah ihn belustigt an und frotzelte: "Ist doch anders, wenn es um einen selber geht, wa?" "Aber irgendwie", fing Kong an, "ist doch der Punkt irgendwie bloß, daß es alle machen, also daß alle gegen Bush sind. Das ist doch kein Argument irgendwie." "Das ist auch kein Flugblatt", erwiderte Tascha. "Ich fand's erstaunlich nett, wie sie das gebracht haben. Soll ich den anderen Song auch noch anmachen?" Kong zuckte die Schultern: "Mal eine Strophe oder so." "Der heißt 'Trick me once' und ist offenbar auf den Kelis-Song draufgebaut worden, den mit dem knallorangenen Video." Die bekannte Rhythmusspur setzte ein, nur etwas langsamer, wieder HipHop...


Und die Antiimp-Kiddies in meiner Straße lallen:

"Das Kapitalverhältnis aufheben? Da muß es erstmal runterfallen..."

Und ich sag: "Es ist schon unten, es ist der Boden,

auf dem ihr rumlauft, der euch festhält mit Gravitation."

Wenn sie überhaupt mal vom 'Aufheben' reden,

statt wie meistens einfach "Abschaffen!" zu blaffen,

womit sie meinen, die Hure Babylon zu ficken,

sie zu vergewaltigen und in die Hölle zu schicken.

Doch wenn ihr Babylon anzündet, hol ich die Feuerwehr,

denn apokalyptische Rauchsäulen gab's in der Geschichte schon mehr.

Und ich kauf' euch eure Ideale nicht mehr ab,

weil ihr sie viel zu oft und live vor meinen Augen verraten habt.

Und es sieht so aus, als wäre das gerade meine einzige Wahl

Ihr habt mich einmal verarscht, es gibt kein zweites Mal!

Might trick me once won't let you trick me twice


"Das ist ja lustig", befand Bob, "in welchen Weblogs haben sie denn abgestimmt? Das kenne ich ja gar nicht..." "Ich hab das nicht ganz verstanden", sagte Panda, "Was sollte das mit Aufheben und Abschaffen?" Bob grinste wieder: "Das läßt du dir am besten von Kong erklären." Der winkte ab und begann ein weiteres Bauwerk: "Du willst mich ja bloß vorführen, weil du meinst irgendwie, alle Politik ist sinnlos, aller Widerstand ist falsch, bevor er nicht der heiligen Aufhebung dient. Irgendwie müssen wir alle Enthaltsamkeit üben, weil jede andere Revolution irgendwie heute nazimäßig wäre. Und damit hast du irgendwie 'ne prima Ausrede dafür, irgendwie nichts zu machen und ständig irgendwie rumzustänkern." "Es wäre schon besser", sagte Bob, "wenn es besser wäre. Das klingt immer so, als würde ich alles doof finden müssen. Aber es ist doch doof. Deutschland ist scheiße, die Krise hört nicht auf, die Leute werden immer stromlinienförmiger und langweiliger, keiner versteht mehr einen halbwegs komplexen Gedanken und die meisten verstehen nicht mal mehr ihre verdammte Textverarbeitungssoftware." Panda wunderte sich: "Aber dann müßte man doch gerade was machen!"

"Das denke ich ja auch immer", sagte Bob, "und dann macht man auch ständig irgendwo mit und läßt sich zum Beispiel von den Gutmenschen gegen Naziaufmärsche benutzen und am Ende heißt es nur: Unsere Stadt ist so toll, hier gibt es keine Nazis. Wenn ich darüber abstinke, wie sehr sich politische Betätigung ständig selbst ins Knie schießt, dann meine ich durchaus mich selber." "Du hast mein Mitgefühl", sagte Tascha ironisch. "Und was heißt nun Aufheben", wollte Panda noch mal wissen. Bob seufzte: "Es ist eigentlich ganz einfach. Den Kapitalismus abschaffen ist im wesentlichen das, was im 20. Jahrhundert immer wieder versucht wurde. Die Reichen wurden enteignet oder die vermeintlich Schuldigen an der Misere massenhaft umgebracht, danach wurde die Wirtschaft verstaatlicht oder in einzelnen Fällen auch wirklich vergesellschaftet - aber der Haken war immer, daß man eben etwas abgeschafft hatte, nicht überwunden. Man fiel jedes Mal hinter den Kapitalismus zurück. Der Einzelne galt weniger, Abweichung wurde härter bestraft, Recht war kaum einklagbar und der größte Vorzug am Kapitalismus, auch wenn Kong das anders sehen mag, nämlich der, daß er Unmengen von Werten akkumuliert, wurde ausgesetzt. Es wäre jetzt unglaublich schön, sagen zu können, wie es anders gehen soll, aber das weiß eigentlich keiner. Und so lange fühle ich mich ziemlich doof dabei, ständig 'Danke nein' sagen zu müssen und nur ganz selten mal irgendwas sinnvoll finde." Bob wirkte jetzt mißmutig und achtete überhaupt nicht mehr auf den immer noch gut sichtbaren Fleck auf seiner Hose.

"Vielleicht ist es auch einfach alles noch nicht so weit", sagte Panda aufmunternd. Bob blickte ihn wenig aufgemuntert an: "Vielleicht haben wir die Gelegenheit ja auch schon verpaßt und fallen jetzt langsam wieder runter." "Ich habe hier einen Text aus dem Telepolis-Forum über die Gesamtlage", meldete Tascha. "Der klingt eigentlich super optimistisch, da wird wohl wieder irgendwas nicht dran stimmen, aber hört mal:

Ich glaube nicht, daß die Mitarbeiter in den Medienindustrien den freien Kopierern so feindselig gegenüberstehen, wie sie es der öffentlichen Auseinandersetzung nach zu tun scheinen. Im Grunde sind die "Raubkopierer" (wie die meisten Hacker): gute Konsumenten. In den letzten Jahrzehnten wurde von Medienindustrie das Bild vom immer unmittelbareren Konsum aufgebaut, immer schneller, immer billiger. Zumindest in der Werbung wurde bereits ein infitesimaler Aufwand für den Konsum verherrlicht. Die begeistertsten Jünger dieses Konzeptes, die besten Konsumenten sozusagen, kamen irgendwann zu dem naheliegenden Schluß, daß optimaler Konsum nichts mehr kostet und in no-time passiert. Das wurde von der realen Möglichkeit der P2P-Netzwerke befördert.

Das gleiche ist auf einer anderen Ebene in den letzten 100 Jahren schon mal passiert - nur daß dabei die Optimierung der Produktion (geringerer Aufwand, geringere Arbeitszeit) die Zielvorstellung war. Mit der Konsequenz der optimalen Produktion, die nahezu keinen Aufwand und geringfügigen Zeiteinsatz erfordert.

Die Reaktion der 'Industrie' auf diese Entwicklung war auch in diesem Fall keineswegs die (umsatzschädigende) Verringerung der nötigen Arbeitszeiten, außer in begrenztem Rahmen, um Aufständen vorzubeugen. So sehr sie aufgrund des Umsatzdrucks gezwungen war, Automatisierung (und heute die Verbreitung von Kopiervorrichtungen aller Klassen) zu forcieren, so sehr erzeugte sie damit "böse" Arbeiter und "böse" Konsumenten, die die entspannte Welt der Freizeit oder gar der Nicht-Arbeit hinter einem dünnen Schleier sehen konnten. Und können.

Eine weitere "Bedrohung" der Gegenwart, die nur für die 'Industrien' eine darstellt, sehe ich darin, daß durch bestimmte technische Entwicklungen die Grenze zwischen Konsum und Produktion zu verschwimmen beginnt. Drucker und Scanner in Privathaushalten haben zahlreiche Funktionen der gewerblichen Vervielfältigung, von Verlagen wie Beispielsweise von Fotogeschäften übernommen. Die Weiterentwicklung dieser Geräte in Richtung dreidimensionale Datenformate ermöglicht bald die private Herstellung von Gegenständen nach aus dem Netz gezogenen oder selbstentwickeltem Strickmuster.

Das hört sich danach an, daß bestimmte Sachen erst jetzt gehen, daß wir uns bisher eigentlich gar nicht wundern dürfen, daß es noch nicht geklappt hat." Panda: "Das klingt genehm in meinen Ohren. Wir sind an der Hauptkampflinie und bei den Guten, also den BösenTM." Alle blickten zu Bob, der ganz überrascht davon die Hände hob und sagte: "Ich finde das auch okay. Die Begriffe sind etwas schief, aber es ist okay. Bloß", er nahm einen Schluck Mate, "das klingt trotzdem, als würden die Leute es zwangsläufig kapieren und das vergangene Jahrhundert sagt vor allem eins, nämlich, daß sich die Mehrzahl weiterhin mit Händen und Füßen dagegen wehrt, daß es anders wird." Fast gleichzeitig stöhnte die Runde auf, Taschas vorwurfsvoller Blick sagte sowas wie: Dir kann man es aber auch gar nicht recht machen. Bob hob wieder Hände und sagte: "Das heißt auch nicht, daß es nicht klappen kann." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Ich will ja gar nicht immer nörgeln, aber naja." "Es könnte also so sein", sagte Tascha vorsichtig, "daß die Leute sich auch dagegen wehren, daß sie in den tollen neuen Möglichkeiten wieder nur die böse Globalisierung - sorry, Kong - sehen, es könnte aber auch passieren, daß wir es einfach so weit treiben, daß sich die bessere Welt so deutlich abzeichnet, daß sie endlich einsehen."

Kong, der sich in den letzten Minuten hauptsächlich mit seiner Atmung und dem Formen von Rauchringen beschäftigt hatte, sagte: "Global ist doch irgendwie vor allem der Widerstand. Ich meine irgendwie, das, was wir am Anfang beim Wickel hatten irgendwie, daß sich ja gerade die Gegner der Globalisierung vernetzen und modernisieren - ist das nicht auch irgendwie ein Beitrag? Kannst du das vielleicht bloß nicht sehen, Bob, weil du irgendwie immer Civilization spielst, was letztlich einfach Schach ist, so wie immer irgendwie?" "Willst du mich jetzt wieder zu Echtzeitstrategie bekehren?" fragte Bob zurück. "Dieses hektische Geklicke ohne Bedenkzeit, bei dem die Menschheitsgeschichte auf zehn technische Neuerungen reduziert wird? Ich weiß ja nicht." "Immerhin", gab Panda zu bedenken, "ist das viel beweglicher und frischer als deine rundenbasierten Games. Man wird flexibler dabei, finde ich. Kennt ihr diesen Text über die gefährlichen Bücher?"

Isn't the extraordinary success of the "Harry Potter" novels better news for the culture than the equivalent success of "Grand Theft Auto III"? Steven Johnson's response is to imagine what cultural critics might have said had video games been invented hundreds of years ago, and only recently had something called the book been marketed aggressively to children: Reading books chronically understimulates the senses. Unlike the longstanding tradition of gameplaying - which engages the child in a vivid, three-dimensional world filled with moving images and musical sound-scapes, navigated and controlled with complex muscular movements - books are simply a barren string of words on the page. . . . Books are also tragically isolating. While games have for many years engaged the young in complex social relationships with their peers, building and exploring worlds together, books force the child to sequester him or herself in a quiet space, shut off from interaction with other children. . . .

But perhaps the most dangerous property of these books is the fact that they follow a fixed linear path. You can't control their narratives in any fashion - you simply sit back and have the story dictated to you. . . . This risks instilling a general passivity in our children, making them feel as though they're powerless to change their circumstances. Reading is not an active, participatory process; it's a submissive one. He's joking, of course, but only in part. The point is that books and video games represent two very different kinds of learning. When you read a biology textbook, the content of what you read is what matters. Reading is a form of explicit learning. When you play a video game, the value is in how it makes you think. Video games are an example of collateral learning, which is no less important.

Bob blieb in seiner Verteidigungshaltung: "Ja, das ist lustig, aber wir sind ja hauptberuflich jung, wir werden immer dazu benutzt, die Leute noch weiter anzutreiben, sich noch weiter zu verbiegen. Aber wenn die Unternehmer jammern: Oh, die Arbeiter sind ja so unflexibel! - dann sagt keiner: Jetzt habt ihr sie verbogen, jetzt müßt ihr auch... Ich meine, es waren dann immer ältere Menschen, die einfach mal sowas wie die Waschmaschine erfunden haben, damit sich die Hausfrauen nicht mehr so abrackern mußten. Ich halte flexible Leute nicht gleich für einen Gewinn. Die Hackerromantik, bei angeliefertem Fastfood vor den Bildschirmen die Nächte durchzumachen, ist in weniger als zwei Jahrzehnten Tausenden von Werktätigen als Dauerbelastung auf den Hals gekommen. Bob Black blieb 1981 eine einsame Stimme, als er meinte, daß wir den Versprechungen der Informatiker gegenüber skeptisch sein sollten, weil sie wie die Hunde arbeiten."

Im Forum des Online-Magazins Telepolis wird ein Artikel über Internetsucht zerrissen. "Schlecht erfunden, die brauchen wohl neue Patienten", heißt es. "Alles Quatsch - ich kann mit dem Netz gut umgehen", sagen viele andere. Ein einziger Beitrag weist daraufhin, daß es bei Sucht nicht um die geht, die mit etwas umgehen können, sondern um die, die das nicht schaffen. Eine Betroffene schüttelt virtuell die Hand. Aus der großen Verbreitung von Netzanschlüssen erwächst gleich die nächste Verbindlichkeit. Viele Behördenformulare gibt es nur noch als pdf-Dateien, Banken bieten zahlreiche Dienstleistungen nur noch online an, Schülerfragen werden mit dem Verweis "irgendwo im Netz" abgespeist. Die gelangweilte Replik der Sachbearbeiter an die Zuspätkommer lautet: "Haben Sie denn unsere E-Mail nicht erhalten?"

Mr. Prosser sagte: "Sie hatten ja durchaus das Recht, zu geeigneter Zeit Vorschläge und Proteste zu äußern."- "Zu geeigneter Zeit?" schimpfte Arthur. "Zu geeigneter Zeit? Zum erstenmal habe ich was davon gehört, als gestern ein Arbeiter bei mir aufkreuzte. Ich fragte ihn, ob er zum Fensterputzen gekommen wäre, und er sagte, nein, er sei gekommen, um das Haus abzureißen. Natürlich hat er mir das nicht gleich gesagt. Nein, erst hat er ein paar Fenster geputzt und auch noch fünf Pfund dafür verlangt. Dann erst hat er's mir gesagt." -"Aber Mr. Dent, die Pläne lagen die letzten neun Monate im Planungsbüro aus." - "O ja. Als ich davon hörte, bin ich gestern nachmittag gleich rübergegangen, um sie mir anzusehen. Man hatte sich nicht gerade viel Mühe gemacht, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Ich meine, daß man's jemandem gesagt hätte oder so." - "Aber die Pläne lagen aus..." "Lagen aus? Ich mußte schließlich erst in den Keller runter..." "Da werden sie immer ausgehängt." "Mit einer Taschenlampe." "Tja, das Licht war wohl kaputt." "Die Treppe auch." "Aber die Bekanntmachung haben Sie doch gefunden, oder?" "Jaja", sagte Arthur, "ja, das habe ich. Ganz zuunterst in einem verschlossenen Aktenschrank in einem unbenutzten Klo, an dessen Tür stand: Vorsicht! Bissiger Leopard!" Wenige besitzen die Souveränität eines Peter Lau, der sich das beliebte Hackerschimpfwort vom DAU, dem Dümmsten anzunehmenden User, auf die Brust heftet. "Die Technik muss sich mir anpassen, nicht ich mich der Technik", sagt der Kulturredakteur von brand eins lapidar.

Dresden-Neustadt. Der Besitzer des Zeitschriftenladens brütet über einem Katalog, bis es ihm entfährt: "Was hamen die alle mit den Navigationssystemen?! Wer brauchtn so'n Scheiß? Sind die alle zu blöd, 'ne Landkarte zu lesen?" (Wobei der Trick darin besteht, daß es in vielen Autos keine Karte, sondern nur einen Navigator gibt, mit dem der Fahrer nichts anfangen kann. Meistens gibt es jedoch weder noch und die Navigation erfolgt nach bereits bekannter Strecke oder der deutschesten aller Methoden: Fahren nach Ausschilderung.)

"Aber ihr fahrt euch schon wieder fest", konstatierte Tascha. "Das Entweder-oder sehe ich so gar nicht. Ich spiele Europa Universalis, das ist historischer als Civilization und es mischt Elemente von Echtzeitstrategie und eben eher schachartigen Spielen. Es gibt auch jenseits von Schach oder Go, um noch mal darauf zurückzukommen, noch sowas wie japanisches Schach, bei dem es zwar Figuren mit verschiedenen Fähigkeiten gibt, diese sich aber während des Spiels beträchtlich wandeln können. Deswegen jetzt die japanische Kriegführung im Zweiten Weltkrieg zum Modell für die Zukunft zu erklären, fände ich aber Quatsch. Will eigentlich außerdem nicht endlich mal jemand meine Tüte haben? Ich bin gerade wirklich nicht so drauf." Panda, ganz unschuldig: "Eh' ich mich schlagen lasse... Aber auf jeden Fall geht es doch auch darum, daß wir als Hacker nach den Hintertürchen suchen und demonstrieren, daß jeglicher Plan nicht aufgeht. Daß die Nazis vielleicht härter zuschlagen können und disziplinierter sind, wie Katja Kipping von der PDS sagt, daß sie ihre Netzportale aber nicht gegen uns abgesichert kriegen. Daß aber andererseits auch der chinesische oder japanische oder welcher Plan auch immer nicht aufgeht."

"Das hängt aber davon ab", sagte Bob jetzt etwas weniger defensiv, "wie sehr wir selbst drauf reinfallen. Schon dieses 'Wir Hacker' ist doch Käse, damit tappst du doch schon in die erste Falle. Die meisten Hacker suchen doch immer nur nach den Haken bei den anderen. Man hackt eben die Firma, für die man gerade nicht arbeitet. Im Chaos-Jahresrückblick sind ganz zufällig die allermeisten Meldungen aus den USA und Israel. Wir kokettieren damit, daß wir Verschwörungstheorien besonders gut geblickt haben und trotzdem pushen wir sie wie sonst niemand. Warum saßen Bröckers und Wisnewski auf dem Chaos Camp und niemand widersprach ihnen? Weil es eben doch sowas wie Lieblingsfeinde gibt und die rein zufällig doch voll auf der Linie der sowieso beliebtesten Verschwörungstheorien liegen." Panda widersprach: "Aber das sind doch Minderheiten-Standpunkte, die einfach mal ein Forum bekommen dürfen." "Global gesehen nicht. Zu behaupten, daß an der amerikanischen Ostküste unter dem Einfluß der jüdischen Lobby finstere Machenschaften im Gange sind, denen wir alles Unglück auf der Welt zu verdanken haben, deckt sich mit der gegenwärtig vielleicht populärsten Ideologie überhaupt." Tascha wurde nachdenklich: "Naja, das paßt schon zu dem, was ich mir gerade überlegt habe. Unsere liebe Kifferei leistet sicher ihren Beitrag dazu, daß wir auf sowas reinfallen. Ein bißchen Dope sorgt für neue Assoziationen und Überraschungen, aber viel davon die ganze Zeit macht schon paranoid genug, daß ich beginne, alles zu glauben, was nicht bei drei aufm Baum ist."

Panda fing an zu singen: "Ein Krümel ist genug, ein Krümel macht dich klug, jedoch ein fetter Brösel macht dich ganz schnell zum Esel." Kong schüttelte den Kopf: "Die meisten Leute auf der Welt kiffen doch gar nicht und die haben irgendwie trotzdem den Eindruck, daß von den Amis zumindest die meisten ihrer Probleme ausgehen. Ich finde irgendwie, ihr macht euch das zu einfach, alle Gegner der globalen Wirtschaft für bescheuert oder für bekifft zu erklären." "Davon hab ich gar nicht gesprochen", sagte Tascha. "Ich weiß nur, wie es bei mir ist. Es ist ja auch andersrum so, daß die völlig nüchternen Leute oder die, die meistens nur saufen, wiederum viel zu wenig assoziativ denken. Die sind dann kernig logisch und straight, können sich aber gar nichts mehr vorstellen, was ein bißchen abwegiger ist." "Na, was ich nur immer wieder feststelle", sagte Panda, "ist, daß Internetforen so funktionieren. Entweder sturznüchtern und komplett mit Rauswurf bei der ersten schrägen Bemerkung oder aber eine Nuts-Competition, bei der man sofort angepflaumt wird, wenn man mal sagt: Hallo, könnt ihr das irgendwie belegen?"

"Foren sind eh ganz schön deutsch", sagte Bob, "deshalb lese ich da meistens nur mit. Die Ältesten bestimmen den Konsens, alle anderen laufen im Minenfeld herum und schießen um sich. Wenn man irgendwas fragt, wird man sofort in irgendeine Fraktion einsortiert. Das stimmt völlig, daß sich da ganz üble Welten aufgebaut haben, weil es überhaupt keinen Abgleich mehr mit der Wirklichkeit gibt. Dann schon lieber Bloggen. Da ist jeder nur eine Durchgangsstation und kann aber sein Ding machen. Das ist in Deutschland auch auffällig wenig verbreitet." Tascha nickte: "Oh ja, da habe ich gerade erst in der c't gelesen, ausgerechnet der IT-Redakteur vom Focus - naja - meinte, daß in Frankreich jeder zweite Oberschüler ein Blog hat, und hier gibt es ganz wenige. Und er meinte, daß liegt an der mangelnden rhetorischen Kultur, an Technikfeindlichkeit und daran, daß es keine starken Zugpferde gibt, auf die sich alle beziehen." "I couldn't agree more", sagte Bob fröhlich. "Und das vom Focus bescheinigt zu bekommen..." "Was in Deutschland allerdings abgeht, ist Wikipedia. Da treibe ich mich auch gern rum, weil zwar jeder seinen Senf dazugeben kann und auch wirklich jeder Krümel aufgehoben wird, am Ende aber doch brauchbare Texte dastehen, gerade solches Zeug, daß ein einzelner Lexikonredakteur nicht angefaßt hätte, die ganzen Grenzwissenschaften oder überhaupt umstrittene Ideen."

Nachdem die ganze Zeit über die Playlist unbeachtet geblieben war und eher unaufregende Minimalelektronik vor sich hin geblubbert hatte, war jetzt - wer das gequeut hatte, war unklar - ein tiefer Testton zu hören, zügig überlagert von einem Breakbeat, von einem ziemlich schnellen Breakbeat, der wiederum von einer beachtlichen Dub-Bassline garniert wurde und der in Gestalt von einsetzendem Kopfnicken und Oberkörperwackeln im Raum einen kaum für möglich gehaltenen Bewegungsdrang erzeugte. "Darauf scheinen wir uns dann aber doch immer einigen zu können", lachte Panda und stand auf. Er wippte zum Matematen und zog sich eine, Kong ließ sich vernehmen, daß es dennoch auch einen Haschkeks-Automaten geben müßte. Da Panda direkt neben Bob mit der Flasche stehenblieb und weiter im Rhythmus oszillierte, streckte dieser seine Arme aus und versuchte sich etwas auszurenken: "Kann trotzdem jemand den Track überspringen - der Herr Bong-Ra muß seinem Bekunden nach grad wieder Babylon anzünden und so."

"Du hast ja Recht", bestätigte Tascha, sprang zum nächsten File, erhob sich und stellte sich ans offene Fenster. Ein bißchen weniger Nebel und sie schienen alle organisch zu werden, dachte sie, was sind wir für ein Haufen. Als Bob offenbar nach positiver Prüfung des Inhalts - LFO Demon, derselbe Style, weniger Tote - auch noch aufstand, war Tascha verblüfft, weil unleugbar - getanzt wurde. Sie tanzte ja selbst. Was für eine plumpe versöhnliche Pointe, dachte sie, am Ende hopsen wir alle herum, als wäre nichts, weil die Mucke so viel davon ist. Auch wenn Kong sich eher gemächlich dem Baß hingab, schien es zusammen mit dem Geblinke vom Hinterhof eine schöne Partyutopie zu werden. Die Grüne Jugend und die Israelsolidarität, deren Umweltbewußtsein nicht weiter ging, als hauptsächlich Ben&Jerry's-Eis zu essen; die Mitfahrzentrale und der Tramper; das Netzwerk und die Baumstruktur. Als schlösse sich das alles aus - ach, ich werde sentimental.

Jetzt bemerkte sie den Fleck auf Bobs Hose und wunderte sich, ob die Körperlichkeit sich gleich so massiv geäußert hatte oder ob er es nur nicht geschafft hatte, sein Modegetränk überwiegend in den Mund zu schütten. Ich sollte da nicht so hinsehen, ermahnte sie sich, das macht ihn nur wieder verlegen. Obwohl es ein charmanter Kontrast zu seinem Rechthaben-Film ist - am besten immer im Wechsel: Rechthaben - Verlegensein - Rechthaben - Verlegensein. Oh, auch dieser Gedanke war dem Rhythmus anheimgefallen. Es war ein neuer Rhythmus, der vom nächsten Track, der ganz deutlich noch überdrehter war und dementsprechend prima paßte. Irgendwie war es Ragga, aber dafür war es zu Punk, vor allem, weil sie ständig grölten: "One Love - one heap of shit! Sugarcoat on your hatred!" Dazwischen Kölscher Dialekt - ein Beitrag mehr zum Niemandsland zwischen cannabinoidem Kognitionskrawall gegen die drei - oder oft eher zweidimensionale, schlecht gerenderte Außenwelt und koffein- und gewürzgestützter Hebung des Serotoninspiegels gegen den Mangel an Tageslicht und richtigem Schlaf. Ob sich nun das in besser ausgewogener Intoxikation das Dilemma lösen könnte, daß Dope ganz sicher die besseren Träume verursachte, sie aber immer vergessen ließ? Ob Breakcore den Widerspruch von musikalischem Gehalt, Samplen und wackelnden Hintern in Gestalt eines die Widersprüche ohne Konsensgeseier integrierenden Diskurses lösen könnte? Ob es gelingen konnte, die Dialektik aus Dope und Mate, aus assoziativem Verschwörungsdenken und analytischer Algorithmierung, aus körperlicher Entspannung und Aufregung, aus Ambient und Gabber ins DJ-Tamagotchi zu übertragen? Ob aus dem einen vermeintlichen Fleck viele richtige werden würden? Ob vielleicht wirklich mal jemand das Kapitalverhältnis aufheben würde, das schon so lange herumlag, damit wir endlich bei Star Trek nicht nur zuschauen? Ob es dann auch endlich Gerechtigkeit für Lisa Simpson geben würde?

Ich weiß es nicht. Ich kann nicht mehr sagen als: That's - all - folks!

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