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Aktuelle Version vom 26. September 2005, 15:49 Uhr
Freibeuter im Äther
Sie senden aus feuchten Kellern und von hoher See, vor allem aber: ohne Lizenz. Radiopiraten pflegen ihre ganz eigene Form der Anarchie. Wie machen sie das und warum? Eine Reportage von David Schumacher und Claudia Witte, aus dem WOM-Journal.
Aus einem Hinterhofschuppen irgendwo im Ruhrgebiet schallt eine Hendrix-Gitarre. Seltsamer Gedanke, daß die im gleichen Moment in Finnland zu hören sein muß. Und in Spanien. Wer so etwas fertigbringt, ist Radiopirat auf Kurzwelle. Diese Totenkopfflagge aus dem Ruhrpott weht im Takt der Swinging Sixities. Sie gehört Robbe. Das Tageslicht fällt nur schwach durch die trübe Scheibe auf sein Mischpult. Der Rest seiner Höhle liegt im Halbdunkel. Dort stapeln sich kistenweise Schallplatten. Sie wollen noch durchstöbert werden und auf den Regalbrettern Platz finden zwischen Robbs restlichen 5000 Platten. Hier legt er unter seinen Pseudonym "Roy Clark" für sein "Star Club Radio" auf. Das St. Pauli-Sweatshirt spannt sich über Robb's Bauch. Seine Augen zwinkern durch die großen Brillengläser, die von zotteligen weißen Haaren umrahmt sind. Er verschränkt die Arme vor der Brust und erzählt von guten, alten Piratenzeiten bei "Radio Störtebeker". Damals in den 60ern, als die Flasche Bier im Hamburger Star Club nur einsachtzig kostete. Damals spielte er die gleichen Platten wie heute: Cream und Hendrix. Der Plattenspieler ist auch noch da. Glänzendes HIFI-Equipment würde seine Kajüte wohl als Fremdkörper abstoßen. Tisch und Liege, die in den Raum hineinragen, sind mindestens so alt, wie Robbe. Der ist 49. Das, was Robbe hier auflegt, spucken am Sonntagmorgen die Weltempfänger aus. Zwischen 6200 und 6300 kHz befindet sich "Star Club Radio" in bester Gesellschaft. Dort liegt das Hoheitsgebiet der Kurzwellenpiraten, das sie weltweit gekapert haben und jedes Wochenende über zusammengelötete Sender beschallen.
Manchmal hört auch die Regulierungsbehörde zu. Robbe grüßt sie regelmäßig über den Äther. Einmal nahmen sie die Einladung an, am 20. September '92. Robbe war on air und erwartete einen Freund. Die Tür stand offen. Jemand stiefelte über den Hof. "Komm rein" rief Robbe. "Ich habe schon auf dich gewartet". Das kostete 600 Mark Strafe. Die Beamten der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post sind die Wellenwächter. Auf Piraten steht ein Kopfgeld bis zu einer Million Mark. Jedenfalls ist das nach dem Telekommunikationsgesetz die höchste Strafe für einen, der ohne Lizenz den Äther besetzt. Zu diesem exklusiven Kreis zählen etwa 50 Radiofreaks. Um die 30 von ihnen tummeln sich im Kurzwellenbereich (KW). Nur eine Handvoll wagt sich auf die Ultrakurzwelle (UKW) in unmittelbare Konkurrenz der privaten und öffentlich-rechtlichen Radiostationen. Was Robbe und seine Piratenfreunde von den "Legalen" halten, kleiden sie in unzweideutige Worte: "Alles lahm, alles dasselbe, viel zu glatt." Jeder Pirat dagegen hat seinen Charakter. Die Musik, die er spielt, ist seine Flagge. Robb's Flagge zeigt Pilzköpfe und Schlaghosen.
Vor 35 Jahren waren Radiopiraten tatsächlich noch Seefahrer. Außerhalb der Drei-Meilen-Zone kreuzten sie vor der britischen Küste. Wer das eintönige Gedudel vom öffentlich-rechtlichen BBC satt hatte, stellte seinen Empfänger auf die Frequenz von "Radio Caroline" ein. Dort lief Beat und Rock'n Roll, der der BBC zu schmutzig war. Die Crew von "Radio Caroline" war frech genug, die Nachrichten der BBC zehn Minuten später noch einmal auf der eigenen Frequenz auszustrahlen. "Caroline" war der erste Pirat und wurde zum Mythos. Heute liegt die Caroline abgetakelt in einer Flußmündung bei Blackwater.
Die Piraten gingen aufs Festland, richteten sich ihre Piratennester ein: überall in Europa, mit Vorliebe in den Niederlanden, denn dort sind die Gesetzesnetze grobmaschig. In den 70ern schalteten sich politische Piraten ein, die ihre Propaganda gegen Krieg, Staat, Atomkraft verbreiteten. Die Bewegung hielt sich ein Jahrzehnt, dann ebbte sie ab. Die Musik-Piraten gaben wieder den Ton an, unpolitisch, frech, chaotisch. Über die niederländische Grenze schwappten 24-Stunden-Programme ins Rheinland. Aus unbewohnten Häusern schaltete die Szene ihre Parties auf Sendung. Der Handel mit selbstgebauten UKW-Sendern blühte. "Wir haben Sachen gespielt, die sonst nirgendwo gelaufen sind", erinnerte sich Johnny Best, damals DJ beim legendären Radio 101, heute legal bei einem österreichischen Privatsender. Die Piraten vom Niederrhein tanzten den Behörden auf der Nase herum. 1985 verkaufte "Radio 101" sogar Werbezeiten an Aachener Geschäftsleute. Mit dabei war auch Chris. Er ist heute 37 und kein Pirat mehr. Für "Radio 101" installierte er Relaisstationen auf Aachens Dächern. Die verstärkten das Sendesignal aus Holland bis über den Rhein nach Wuppertal. Unter Dachpfannen in den Maschinenräumen von Fahrstühlen schlummern sie bis heute unentdeckt. "Ich könnte die jederzeit per Funk wieder aktivieren", lächelt Chris wehmütig. Er trauert den wilden Zeiten hinterher, als er noch Sender im Waldboden verscharrte und Antennen im Baumwipfeln festzurrte. Von geheimen Orten zu senden war für ihn ein Sport. Seine Gegner: Die Beamten der Post. "Die waren oft schlechte Verlierer", erzählt Chris. Ein Dutzend Mal in seiner Piratenkarriere trugen die Beamten den Sieg und das gesamte Sende-Equipment davon.
Was die Piratennester allmählich austrocknete, das waren nicht die rigiden Gesetzeshüter, sondern die kommerziellen Radios. In Deutschland können seit 1984 auch private Veranstalter die Lizenz zum Senden erwerben. Knapper werdende Frequenzen und die neuen Musikradios nahmen den Piraten den Wind aus den Segeln. Auch die Öffentlich-rechtlichen setzten nach und schufen ihre Hit-Radios, von SWR 3 im Südwesten bis N-Joy im Norden. Ex-Pirat Chris hört heute Eins-Live, den WDR-Jugendsender: "Wenn es so was damals schon gegeben hätte, wären Piraten gar nicht erst aufgekommen." Warum gibt es heute noch Piraten? Der Frust über aalglatte Formatradios fordert noch immer kühne Radio- und Musikbegeisterte heraus, die sich das Recht nehmen zu senden, was ihnen gefällt. Denn wer legal senden will, braucht nicht nur Geld, sondern muß strenge Auflagen erfüllen. Die Piraten lockt der Kitzel des Verbotenen. Nicht zuletzt hegen viele Piraten den typisch männlichen Spieltrieb, der auf Millionen Dachböden noch Modelleisenbahnen am Laufen hält. Wie sich Männer über die Spurbreite streiten können, sind sich Piraten nicht einig über die rechte Wellenlänge. UKW oder KW? Zwischen Robbe und den Chaoten von "Free-style Radio" und den professionellen Vollzeit-Piraten von "City - FM" liegen Galaxien.
Besuch bei "Freestyle-Radio"
Bill Mc-Guffie ist für den Kühlschrank zuständig, wenn er und Rex Morris eine Sendung produzieren. "Freestyle Radio on the air", prostet Rex ins Mikro und stammelt die schwedische Postfachadresse noch einmal auf spanisch, abgelesen vom Display des Miniübersetzers. "Wir sind die Typen, vor denen euch eure Eltern gewarnt haben." Das ist wahrscheinlich nicht mal übertrieben. Denn Bill 42, und Rex 44, sind nicht nur Piraten, sie sehen auch so aus. Zugewachsene Gesichter, Totenkopfflagge in der Hand, das Bier, das bei ihnen Frequenzwässerschen oder Braunsche Röhre heißt, auf dem Mischpult. "Spontaneität und Lustigkeit sind bei uns an Bord", verkündet Rex mit ruhrpottschwerer Zunge. Und quatscht Joe Cocker mitten in den Gesang. Bill nuschelt aus dem Hintergrund. Er unterrichtet Rex über die verbleibende Biermenge im Eisfach. Die beiden vergnügen sich alle paar Wochen in Rex' Hobbyraum. Auf den holzvertäfelten Wänden hängen Urkunden von Piraten-Camps. Das letzte war im vorigen Oktober in Duisburg. Fast die ganze deutsche Szene war versammelt, dazu viele Kumpels aus Holland. Etwa 70 Piraten. Auch wenn sich viele von denen nur einmal im Jahr sehen, hören sie fast jedes Wochenende auf der Kurzwelle voneinander. Sie schickten sich Grüße durch den Äther und Empfangsberichte mit der Post. Auf die sind Kurzwellen-Piraten besonders scharf. Deshalb geben sie immer wieder ihre Postfachanschrift durch. Nur per Hörerpost erfahren sie, wo sie zu hören waren.
Kurzwellen werden in der Ionosphäre reflektiert und streuen großflächig zur Erde zurück. Je nach Wattstärke und Wetterlage kommen die Wellen tausende Kilometer weit. Mit ihrem 30-Watt-Sender sind Rex Morris und Bill Mc Guffie in ganz Mitteleuropa zu hören - in Mono mit Grundrauschen. Eine kleine internationale Fangemeinde hört zu und sendet die Empfangsberichte an die anonyme Postfachadresse im schwedischen Ytterby. Als Dankeschön verschicken die KW-Piraten eine QSL-Karte. Die sammeln KW-Fans wie Briefmarken. Je exotischer, desto besser. Was für Autofreaks die Geschwindigkeit, ist für KW-Piraten die Reichweite. So gesehen gleicht der Unterschied zwischen KW- und UKW-Piraten dem zwischen einem Porsche und einem VW-Bus. Der Porsche ist schneller, dafür paßt in den Bus mehr Gepäck. Für Kurzwellenreiter ist es der Reiz des Hörens und Gehörtwerdens, nicht zu wissen, aus welchem Erdenwinkel das Sendesignal kommt und welchem man hineinfunkt. Im KW-Jargon: DX, Distance X, Entfernung unbekannt.
Der UKW-Sender von "City-FM" kommt hingegen nur 10 Kilometer weit. Dafür erreicht er innerhalb dieser Distanz jedes Radio einer westdeutschen Großstadt. Macher Michael, 27, opfert die Reichweite für etwas anderes: Er will mit seiner Musik die Hörer vom WDR und Privatradios weglocken. Sein Bus muß interessantes Gepäck geladen haben, sonst wird "City-FM" weggezappt.
Im Grunde segelt er unter falscher Flagge: Das Programm von "City - FM besteht nicht aus Michaels Lieblingsmusik, sondern aus dem, was er für den Geschmack seiner Hörer hält. Michael will nicht gegen den Wind kreuzen, er segelt im Fahrwasser der Legalen, an denen er sich mißt. "Ich mache Radio für Hörer und nicht für die Szene. Niemand soll meinen Sender als Piraten erkennen", sagt er. Deshalb baut er glattgeschliffene Jingles in sein Programm, deshalb rechnet er akribisch aus Verkaufs- und Radiocharts seine Hitparade zusammen. Und deshalb hat "City-FM" seit fast einem Jahr keine Sendepause gemacht. Michael hat sich den Traum eines jeden Piraten erfüllt. Er kann sein eigenes Programm immer hören morgens unter der Dusche, im Auto, vor dem Schlafengehen. Das Hören von "City-FM" gaukelt Michael eine Radiowelt vor. Alles soll klingen, als wäre es in einem plexiverglasten Studio produziert, von einem Team, das rund um die Uhr für ein anspruchsvolles Programm sorgt. Früher hat er sich noch absichtlich von seiner legalen Konkurrenz abgehoben, mit "guten 80er Hits, die heute keiner mehr kennt." Heute richtet er sich nach dem, was andere Radios auch spielen. Was will er also beweisen? "Daß ich es besser mache als Eins-Live und Energy. Bei denen klingt alles so aufgesetzt cool. Bei mir läuft nur gute Musik, und das ohne Werbung." Das Rohmaterial für einen Jingle besorgt er sich für 450 DM das Stück aus dem Profistudio. Michael baut den Jingle erst dann in sein Programm ein, wenn er träumende Zuhörer aus dem Schlaf reißen könnte. Die Erkennungsmelodie wirft das Lasso aus. Das Dumme ist nur, daß er nicht weiß, ob ihm überhaupt jemand da draußen Gehör schenkt." Ich kann niemanden auf die Nase binden, daß ich Musikradio mache", bedauert er. Die Gefahr, daß er auffliegt, ist zu groß. Einmal ist es schiefgegangen. Vor vier Jahren: Michael wollte nach dem Sender sehen. Sie erwarteten ihn schon, zwei Postler und drei Polizisten. Er mußte zusehen, wie sie alles mitnahmen. Das Verfahren wurde eingestellt, die Sendegeräte für 3.000 Mark aber war er los. Einen Sender hat der gelernte Radio- und Fernsehmechaniker sich neu gebaut. Er sendet 24 Stunden - rund um die Uhr den Peilwagen der Regulierungsbehörde ausgesetzt. Der Sender steht an einem geheimen Ort. Ein Computer füttert ihn rund um die Uhr mit Hits. Live zu senden ist unmöglich. "Wenn die Regulierungsbehörde mich dabei erwischt, bin ich erledigt", weiß Michael. Alle paar Monate macht "City-FM" Sondersendungen und lädt alte Bekannte aus der Szene ein, Programme zu machen. Seinem Anspruch genügen nur die Fähigsten. Insider sagen, von den 20 besten Radio-DJ's, die es in Deutschland gibt, machten acht für Michael Piraten-Programm.
Das Zwei-Zimmer-Apartment im siebten Stock hat sich Michael nicht zum Wohnen ausgesucht. Er hat kein Wohnzimmer mit Polstergarnitur, auf die er sich nach der Achtstundenschicht an der Tankstellenkasse plumpsen läßt. Das Wohnzimmer dient ihm als Schlafplatz. Das andere Zimmer belegt das Studio. Vom Bett aus fällt der Blick auf den silbrigen UKW-Sender aus Italien, der in der Schrankwand steht. Das einzige Schmuckstück in seiner Wohnung. Kein Buch in den Regalen. Kein Bild an den grauen Wänden. Keine Lampe an der Decke, nur ein blanker Draht. Der einzige Stuhl steht vor dem Mischpult. Dahinter türmen sich die schwarzen High-Tech-Geräte auf. Zwei DAT-Recorder, zwei Minidisc-Player, zwei CD-Player, ein CD-Brenner, ein Doppel-Tape-Deck, ein Mikro, ein Verstärker und der Compressor-Limiter für den richtigen Aufnahmepegel. Daneben steht der Computer. 14.000 Mark, um wie ein Profi zu klingen. Für "City-FM" gibt er aus, was von den knapp 2.000 Mark netto, die er verdient, nicht in Miete, Auto und Supermarkt fließt. Er weiß, daß sein Budget gering ist. Lächerlich im Vergleich zu den Kommerziellen. Daß die mit ihrem Geld nichts Besseres zustande bekämen als er, das sei ein Skandal. "Die müßten mir doch zeigen, wie es geht!" In den aufbrausenden Worten schwingt sein Traum mit: sein "City-FM" auf legaler Frequenz. Dann könnte er endlich richtig viele Hörer erreichen. Es wird ein Traum bleiben.
Die Wellenwächter: Bis August 1996 waren Radiopiraten laut Gesetz
Straftäter, denen Gefängnis drohte. Wer heute ohne Lizenz auf
Sendung geht, handelt lediglich ordnungswidrig. Wie ein Autofahrer, der
bei Rot über die Ampel fährt. Nach dem Telekommunikationsgesetz
(TKG) muß der Betreiber eines nicht genehmigten Senders eine Geldbuße
zwischen 3.000 und 6.000 DM [1] zahlen, wenn er sich erwischen läßt.
Im Wiederholungsfall mehr. Über die Einhaltung des TKG wacht die Regulierungsbehörde
für Telekommunikation und Post. Aktiv wird die Behörde aber meist
erst, wenn Piraten in den Flughafenfunk oder auf die Frequenz des Notarztes
geraten. Oder auf Anzeige, und die bescheren sich Piraten meist gegenseitig.
Sie liefern sich Gefechte, weil sie dieselbe Frequenz als Beute beanspruchen
oder sich nicht leiden können. Mit ihrem Peilwagen orten die Beamten
illegale Sender. Ob Streit oder Störfunk, wenn die Beamten der Behörde
vor der Tür stehen, haben Deutschlands Radiopiraten alle dieselbe
Telefonnummer parat: Reiner Palma (34), Rechtsanwalt aus dem niedersächsischen
Belm, steht den Gestrandeten bei. Er schlägt sich mit der Regulierungsbehörde
herum, gibt gute Ratschläge und tritt im Falle einer Verhandlung vor
Gericht als Anwalt auf. Hat Palma Beruf und Hobby zur Deckung gebracht?
"Ich pflege freundschaftliche Kontakte zur Piratenszene", sagt er diplomatisch.
via Dr. Tim's Piraten News
[1] Stand Februar 2000, laut "Radio-Kurier - weltweit hören"